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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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wünschen. Sie würden an der Tür der Kettles vorbeischleichen, als wäre sie verflucht. Und dann.
    Um Hettie mussten sie sich am meisten Sorgen machen. Es tat ihr weh, wenn Mutter versuchte, die Zweige auf ihrem Kopf zu stutzen, und es brauchte schon eine Augenbinde, um ihre glasschwarzen Augen zu verbergen. Mutter hatte ihr eine dunkelgrüne Kapuze genäht, damit sie auf den Hof gehen und nach Sand scharren konnte, aber sie durfte mit niemandem sprechen, und es war ihr auch verboten, die Treppe hinauf oder auf die Straße zu gehen.
    Mutter gab sich alle Mühe, einen Mittelweg zu finden, und Bartholomew war ein wenig stolz darauf, wie gut sie zurechtkam. Gaben sie zu viel von sich preis, kamen die Leute ihnen auf die Schliche; hielten sie sich zu bedeckt, fingen die Leute an zu reden und ergänzten das, was sie nicht wussten, mit ihren hässlichen Vermutungen. Also pflegte sie einige wenige Freundschaften, tratschte mit den Nachbarn und brachte einer Familie Veilchen, wenn jemand gestorben war. Agnes Skinner war eine ihrer ältesten Freundinnen. Sie war eine Witwe und eine Diebin, und ihre rauhe, abgehackte Stimme schnüffelte und stöberte in allem herum. Hin und wieder fragte sie auch nach den Kindern, manchmal so unverblümt, dass Bartholomew überlegte, ob sie nicht Bescheid wusste. Und jedes Mal, wenn sie kam, saß er in der Dunkelheit und machte sich Sorgen – ein kleiner Vogel, und der Wolf direkt hinter der Tür.
    Die Küche war vom Geplapper der Frauen erfüllt. Der Kessel begann zu pfeifen, und Bartholomew roch aufgebrühte Teeblätter. Er hörte, wie mit einem Plop ein Korken herausgezogen wurde.
    Der Schnaps also. Auf einem der oberen Regale stand eine schmale Flasche Brombeerlikör aus geschliffenem Glas, ein Relikt aus der Zeit, als Vater noch bei ihnen gewohnt hatte. Er war oft und ohne Vorwarnung verschwunden, manchmal mehrere Monate lang, und dann ging die Tür auf, und er war wieder da. Manchmal starrte er dann vor Dreck, und manchmal war er prächtig herausgeputzt. Und immer brachte er etwas mit. Das eine Mal waren es Schleifen, das andere Mal Kohlköpfe. Einmal hatte er sich einen ganzen Schinken und eine Perlenkette in sein Hemd gestopft. Der Brombeerlikör war eines dieser Zufallsgeschenke, das einzige, das Mutter nicht verkauft oder eingetauscht hatte. Bartholomew wusste nicht, warum sie die Flasche behielt. Außer für Besuch, und das war immerhin ein nachvollziehbarer Grund, und so hatte sie die Angewohnheit, einen Schuss davon in den Tee zu tun.
    Es dauerte nicht lange, bis die beiden Frauen im Zimmer nebenan recht angeheitert waren. Immer öfter brachen sie in lautes Gekicher aus, und ihre Stimmen wurden so laut, dass Bartholomew jedes Wort verstehen konnte.
    »Hast du gesehen, dass sie Rosen gepflanzt hat?«, sagte Mutter, und er hörte Holz knarren, als sich eine der Frauen auf ihrem Stuhl zurücklehnte. »Rosen, Aggy! Als wollte sie diesen hässlichen Flecken Erde in einen schönen Garten verwandeln.« Sie lachte, und es klang ein wenig verbittert. »Da wächst sowieso nichts. Die Erde ist völlig verrottet, wo die Fabriken doch Tag und Nacht ihren Dreck ausspucken, und auch so – Rosen retten das liederliche Haus bestimmt nicht mehr. Aus den Hagebutten sollte sie lieber Marmelade machen, wenn sie schon so was Überflüssiges kauft. Oder Tee.« Ihre Stimme wurde wehmütig. »Tee aus Rosen und Hagebutten schmeckt herrlich.«
    Mrs.   Skinner stieß einen unverständlichen Laut aus, der wohl tröstlich gemeint war. »Davon verstehe ich nichts, Betsy, aber dein Tee ist unvergleichlich. Ach, der wärmt mir wirklich meine alten Knochen. Jedes Mal aufs neue.«
    Bartholomew konnte fast sehen, wie sich seine Mutter bei diesen Worten aufplusterte; dann bemühte sie sich immer, geziert zu tun, und wedelte affektiert mit ihren abgearbeiteten Händen, als wären sie die weichen weißen Finger einer vornehmen Dame. »Unsinn, Aggy. Soll ich dir nachschenken? Bitte schön. Aber pass auf, dass du ihn nicht in den falschen Hals kriegst, wenn ich dir erzähle, was Mr.   Trimwick letzten…«
    Die Stimmen wurden wieder ganz leise. Bartholomew konnte durch die Wand nur noch ein Murmeln hören. Er sank auf die Knie und rutschte lautlos über den Boden, wobei er in der Dunkelheit nach Hettie tastete. Er fand sie am anderen Ende der Kammer. Sie hockte unter dem Fenster und spielte schweigend mit ihrer Puppe. Die Puppe hieß Mäuschen, und ihr Kleid bestand aus einem karierten Schnupftuch, und ihr Kopf

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