Die Sextherapie: Roman (German Edition)
Vampir. Manchmal saß Shelley neben ihr, fand irgendwann heraus, dass sie Jane hieß, und freundete sich mit ihr an. Jane war weder eine Lesbe noch ein Vampir, und sie hatte auch keinen Hass auf Männer. Sie war einfach nur ein Musterbeispiel für Konzentration, wie Shelley noch nie einem begegnet war. Die Gerüchte, die über sie kursierten, kümmerten sie nicht. Ihr kam es nur darauf an, in ihrem Studienfach zu brillieren, was ihr auch gelang.
Shelley bewunderte sie sehr und wünschte, sie besäße nur die Hälfte ihrer Selbstdisziplin. Das Problem war bloß, dass Shelley sich sehr wohl für die Meinung ihrer Mitmenschen und das, was sie über sie redeten, interessierte. Sie hatte eine Heidenangst vor Zurückweisung, sehnte sich nach Anerkennung und war – um es einmal ungeschönt auszudrücken – häufig einfach nur geil. Wenn ein Mann sie ansprach, zuckte sie nicht zusammen, weil sie eine Eiskönigin oder arrogant gewesen wäre. Nein, sie erstarrte, weil sie eine Macke hatte.
Und deshalb war sie schrecklich wütend auf sich selbst.
Shelley ließ sich auf ihren Stuhl fallen und versuchte, Freyas heuchlerisch-mitleidigen Blick genauso zu ignorieren wie Brionys triumphierenden. Zum Glück vibrierte im nächsten Moment das Telefon in der Handtasche, die sie an einem Riemen um den Hals gehängt hatte. Sie rief die SMS ab.
»Verdammt«, zischte sie leise. Gavin, der Blödmann .
Shelley hastete auf die Toilette, denn sie wollte unter keinen Umständen, dass Briony ihr über die Schulter schaute, während sie diesen lästigen Menschen abwimmelte. Nachdem sie sich in eine Kabine eingeschlossen hatte, las sie den Text.
Hallo, Shell, gehst du auf Alex’ Fete? Sehen wir uns dort?
Rasch verfasste sie eine Antwort.
Sorry, keine Zeit.
Sie setzte sich, schloss kurz die Augen und versuchte, ihre wild durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. Als sie sich gefasst hatte, wollte sie das Telefon wegstecken. Doch es begann erneut zu vibrieren. Wieder Gavin.
Bist du im Pub oder im Büro? Wir könnten uns dort treffen.
Mit einem Aufstöhnen bewegte sie die Daumen und überlegte, wie sie ihn am besten loswerden sollte, ohne unhöflich zu sein.
Bin auf dem Heimweg. Bauchweh.
Das musste doch eigentlich genügen. Shelley klappte das Telefon zu und schickte sich an, die Kabine zu verlassen, da hörte sie, dass jemand hereinkam. Da sie keine Lust hatte, anderen Leuten zu begegnen, beschloss sie zu warten. Jemand stürmte in die Kabine neben ihr und ließ sich schwer auf den Toilettensitz fallen.
Shelley erkannte Freyas Stimme.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Shelley bleibt.«
»Warum?«, fragte Karen aus der Nachbarkabine.
»Na ja, die neue Ausrichtung der Zeitschrift. So etwas liegt ihr doch eigentlich nicht. Was weiß sie schon über Sex? Sie hat ja nicht einmal einen Freund.«
»Sie ist eine ausgezeichnete Journalistin«, widersprach Karen, eine unerwartete Unterstützung, die Shelley zum Lächeln brachte. »Und ihre Grammatik ist lupenrein.«
Eine Pause entstand, als Karen die Spülung betätigte und zum Waschbecken ging. »Aber damit, dass sie sexuell ausgehungert ist, hast du recht. Laut Briony hat sie ein Liebesleben wie eine komatöse Nonne.«
Freya kicherte, während Shelley vor Wut kochte. Sie holte tief Luft und wollte schon die Tür aufreißen, da vibrierte ihr Telefon. Schon wieder Gavin.
Schade. Kommst du am Sonntag zum Manga-Kongress?
Die Toilettentür fiel ins Schloss, und damit war die Gelegenheit, Freya und Karen zur Rede zu stellen, dahin.
Nein.
Als sie auf »Senden« drückte, spürte sie einen Anflug von Bedauern. Sie war nicht sicher, ob es daran lag, dass sie gemein zu Gavin war. Oder hätte sie doch auf Brionys Rat hören und mit ihm schlafen sollen? Nein, so dringend nötig hatte sie es nun auch wieder nicht.
Zumindest noch nicht.
Endlich verließ sie die Toilettenkabine und setzte sich wieder an den Tisch.
»Jetzt bist du dran, Shell«, begann Briony, die − wenn auch ein wenig spät − offenbar bemerkt hatte, dass es Zeit war, das Thema zu wechseln. »Erzähl uns von deinem neuen Auftrag. Du kannst ihn schließlich nicht ewig geheimhalten.«
»Ja, Shelley, worum geht es? Wir haben dir ja auch alles haarklein berichtet.« Freya zog einen Schmollmund.
Alle beugten sich neugierig vor, um bloß nichts zu verpassen. Shelley wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sie hatte sich noch gar nicht entschieden, ob sie es überhaupt tun würde. Wie sollte sie sich als Sexsüchtige
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