Die Shakespeare-Morde
hielt inne und schob die letzten beiden
Karten auseinander. Dort, am Boden zwischen den Karten, fiel der Schein
meiner Lampe auf einen gefalteten Zettel. Vorsichtig nahm ich ihn heraus.
»Für Kate«,
stand dort in blauer Buntstiftschrift.
Im gleichen Moment begann das
schwache Notlicht auf dem Flur zu flackern und erlosch. Hastig schob ich
den Zettel in den Chambers-Band. Dann nahm ich das Buch, knipste die
Taschenlampe aus und ging auf Zehenspitzen zur Tür. So weit ich sehen
konnte, waren in der ganzen Bibliothek alle Lichter ausgegangen. Das Gebäude
lag vollkommen im Finstern. Ein Surren im Hintergrund, das ich bisher kaum
wahrgenommen hatte, schien mit einem Mal tiefer und langsamer zu werden,
dann verstummte es. Ich hatte das Gefühl, ich säße im
Bauch eines großen Tiers, das eben seinen letzten Seufzer getan
hatte.
Als ich mich gerade wieder an
die Arbeit machen wollte, hörte ich ein Quietschen in der Stille,
gefolgt von einem leisen Knarren. Ich erstarrte. Ich kannte das Geräusch:
Es war die Brandschutztür am Ende des Korridors, die zu den engen
schiffsgrauen Treppenhäusern führte. Die Tür am östlichen
Ende des Korridors war auf- und wieder zugegangen. Ich war nicht allein.
Wieder schlich ich mich aus
dem Büro, doch diesmal zog ich die Tür hinter mir zu, ohne sie
ganz zu schließen, weil ich nicht wollte, dass mich das Klicken des
Riegels verriet. Dann hastete ich über den Korridor. Gerade als ich
hinter einem Regal verschwand, sah ich, wie ein Schatten, schwärzer
als die Dunkelheit, von der Treppe um die Ecke kam.
Der Nachtwächter
wahrscheinlich oder jemand vom Harvard-Sicherheitsdienst, der auf den
Stromausfall reagierte. Aber aus irgendeinem Grund wurde ich das Gefühl
nicht los, dass es der gleiche Schatten war, den ich in meinem Fenster in
London gesehen hatte -der durch irgendeine dunkle Macht mit Ros’
Geschenk in Verbindung stand. Ich griff nach meiner Brosche und zog mich
tiefer zwischen die Regale zurück.
Im Korridor tanzte das
Mondlicht auf dem Marmorboden. Die schattenhafte Gestalt eines Mannes
glitt vorbei, doch bevor ich mehr als einen vagen Umriss erkennen konnte,
war er weitergegangen. Innerlich atmete ich auf. Ein paar Schritte später
blieb er plötzlich stehen. Er kam zwei Schritte zurück, dann
noch einen. Jetzt stand er vor Ros’ Tür, und ich sah einen Schlüssel
aufblitzen. Ros’ Tür war nicht abgeschlossen. Als der Mann sie
berührte, gab sie mit einem leisen Seufzen nach. Einen Augenblick
hielt er wie versteinert inne.
Dann drehte er sich
blitzschnell um. Ich zog den Kopf ein und rannte los. Er nahm den nächsten
Gang zwischen den Regalen. Als ich zu den Lesekabinen kam, bog ich um die
Ecke, lief drei Gänge weiter und schlug einen Haken zurück in
Richtung des Korridors. Dann blieb ich in der Deckung des gusseisernen
Regalendes stehen und lauschte mit flatterndem Herzen. Nichts. Die
Magazine der Widener-Bibliothek waren selbst am helllichten Tag ein
Labyrinth aus Sackgassen, unerwarteten Abzweigungen und Gängen. Falls
er sich in diesem Irrgarten weniger gut auskannte als ich - und falls sich
mit der Renovierung nicht alles geändert hatte -, hatte ich eine
geringe Chance.
Leise Schritte im äußeren
Korridor verrieten mir, wo sich mein Verfolger befand. Nur wenige Regale
weiter machte er ebenfalls kehrt und ging zurück in Richtung der Büros.
Je näher er kam, desto tiefer verschwand ich zwischen den Regalen.
Ich musste dafür sorgen, dass immer eine Bücherwand zwischen uns
war. Den Chambers-Band an die Brust gedrückt, tastete ich das
Regalfach über mir ab. Nach ein paar Metern fand ich eine Lücke
zwischen den Büchern. Ich streckte mich und schob die Hand hinein.
Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich die Innenseiten der
Bücher des Nebengangs berühren. Mit aller Kraft gab ich den Büchern
einen Stoß, und sie fielen einen Gang weiter polternd zu Boden.
Er rannte in die Richtung,
aus der der Lärm kam. Im gleichen Moment lief ich in die andere
Richtung los. Die Treppe auf dieser Seite war nur fünf Meter
entfernt. Wie lange hatte ich, bis er meine Finte durchschaute? Ich
schaffte es zum Treppenhaus, riss die Tür auf, die nach unten führte
- und ein metallisches Quietschen zerriss die Stille. Ich sah mich um. Die
Treppe nach oben war von keiner verräterischen Tür versperrt.
Also
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