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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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hielt inne und schob die letzten beiden
     Karten auseinander. Dort, am Boden zwischen den Karten, fiel der Schein
     meiner Lampe auf einen gefalteten Zettel. Vorsichtig nahm ich ihn heraus.
    »Für Kate«,
     stand dort in blauer Buntstiftschrift.
    Im gleichen Moment begann das
     schwache Notlicht auf dem Flur zu flackern und erlosch. Hastig schob ich
     den Zettel in den Chambers-Band. Dann nahm ich das Buch, knipste die
     Taschenlampe aus und ging auf Zehenspitzen zur Tür. So weit ich sehen
     konnte, waren in der ganzen Bibliothek alle Lichter ausgegangen. Das Gebäude
     lag vollkommen im Finstern. Ein Surren im Hintergrund, das ich bisher kaum
     wahrgenommen hatte, schien mit einem Mal tiefer und langsamer zu werden,
     dann verstummte es. Ich hatte das Gefühl, ich säße im
     Bauch eines großen Tiers, das eben seinen letzten Seufzer getan
     hatte.
    Als ich mich gerade wieder an
     die Arbeit machen wollte, hörte ich ein Quietschen in der Stille,
     gefolgt von einem leisen Knarren. Ich erstarrte. Ich kannte das Geräusch:
     Es war die Brandschutztür am Ende des Korridors, die zu den engen
     schiffsgrauen Treppenhäusern führte. Die Tür am östlichen
     Ende des Korridors war auf- und wieder zugegangen. Ich war nicht allein.
    Wieder schlich ich mich aus
     dem Büro, doch diesmal zog ich die Tür hinter mir zu, ohne sie
     ganz zu schließen, weil ich nicht wollte, dass mich das Klicken des
     Riegels verriet. Dann hastete ich über den Korridor. Gerade als ich
     hinter einem Regal verschwand, sah ich, wie ein Schatten, schwärzer
     als die Dunkelheit, von der Treppe um die Ecke kam.
    Der Nachtwächter
     wahrscheinlich oder jemand vom Harvard-Sicherheitsdienst, der auf den
     Stromausfall reagierte. Aber aus irgendeinem Grund wurde ich das Gefühl
     nicht los, dass es der gleiche Schatten war, den ich in meinem Fenster in
     London gesehen hatte -der durch irgendeine dunkle Macht mit Ros’
     Geschenk in Verbindung stand. Ich griff nach meiner Brosche und zog mich
     tiefer zwischen die Regale zurück.          
    Im Korridor tanzte das
     Mondlicht auf dem Marmorboden. Die schattenhafte Gestalt eines Mannes
     glitt vorbei, doch bevor ich mehr als einen vagen Umriss erkennen konnte,
     war er weitergegangen. Innerlich atmete ich auf. Ein paar Schritte später
     blieb er plötzlich stehen. Er kam zwei Schritte zurück, dann
     noch einen. Jetzt stand er vor Ros’ Tür, und ich sah einen Schlüssel
     aufblitzen. Ros’ Tür war nicht abgeschlossen. Als der Mann sie
     berührte, gab sie mit einem leisen Seufzen nach. Einen Augenblick
     hielt er wie versteinert inne.
    Dann drehte er sich
     blitzschnell um. Ich zog den Kopf ein und rannte los. Er nahm den nächsten
     Gang zwischen den Regalen. Als ich zu den Lesekabinen kam, bog ich um die
     Ecke, lief drei Gänge weiter und schlug einen Haken zurück in
     Richtung des Korridors. Dann blieb ich in der Deckung des gusseisernen
     Regalendes stehen und lauschte mit flatterndem Herzen. Nichts. Die
     Magazine der Widener-Bibliothek waren selbst am helllichten Tag ein
     Labyrinth aus Sackgassen, unerwarteten Abzweigungen und Gängen. Falls
     er sich in diesem Irrgarten weniger gut auskannte als ich - und falls sich
     mit der Renovierung nicht alles geändert hatte -, hatte ich eine
     geringe Chance.
    Leise Schritte im äußeren
     Korridor verrieten mir, wo sich mein Verfolger befand. Nur wenige Regale
     weiter machte er ebenfalls kehrt und ging zurück in Richtung der Büros.
     Je näher er kam, desto tiefer verschwand ich zwischen den Regalen.
     Ich musste dafür sorgen, dass immer eine Bücherwand zwischen uns
     war. Den Chambers-Band an die Brust gedrückt, tastete ich das
     Regalfach über mir ab. Nach ein paar Metern fand ich eine Lücke
     zwischen den Büchern. Ich streckte mich und schob die Hand hinein.
     Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich die Innenseiten der
     Bücher des Nebengangs berühren. Mit aller Kraft gab ich den Büchern
     einen Stoß, und sie fielen einen Gang weiter polternd zu Boden.
    Er rannte in die Richtung,
     aus der der Lärm kam. Im gleichen Moment lief ich in die andere
     Richtung los. Die Treppe auf dieser Seite war nur fünf Meter
     entfernt. Wie lange hatte ich, bis er meine Finte durchschaute? Ich
     schaffte es zum Treppenhaus, riss die Tür auf, die nach unten führte
     - und ein metallisches Quietschen zerriss die Stille. Ich sah mich um. Die
     Treppe nach oben war von keiner verräterischen Tür versperrt.
     Also

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