Die Shakespeare-Morde
bei ›Was ihr wollt‹
Regie zu führen.
Ich hatte es nie bereut.
In meiner Erinnerung
leuchtete jener Sommer wie die Tage vor der Vertreibung aus dem Paradies.
Ich brauche deine Hilfe, hatte Ros im Globe gesagt. Vorgestern ging es um
das, was ich wusste. Vor vier Jahren hatte sie schon einmal das Gleiche
gesagt, doch damals ging es um das, was ich war. Ihr knapper, hektischer
Ostküstenstil kam nicht gut an bei den Ranchern und Kleinstädtern
im Westen. Ich war zwar nicht direkt eine von ihnen, doch zumindest
beherrschte ich die Ranch-Etikette. Mir machte es nichts aus, zu warten
und erst mal ein Glas Bier oder Milch zu trinken und ein Stück Kuchen
zu essen, bevor ich meine Fragen stellen oder um einen Gefallen bitten
konnte. Ich war mir auch nicht zu fein, mir die Hände schmutzig zu
machen. Wenn jemand Hilfe brauchte, um ein paar Kühe von einer Tränke
zur anderen zu treiben, saß ich fest genug im Sattel, um mit
anzupacken. Und aus diesem Grund brachte ich selbst die Leute zum Reden,
die jemanden wie Ros mit stummem Misstrauen beäugten.
Also fuhr ich kreuz und quer
durch die wilde Landschaft und hielt für sie Augen und Ohren offen.
Ros richtete währenddessen die Kommandozentrale im Utah Shakespeare
Archive ein, wo sie zwischen Stapeln von kategorisierten alphabetischen
Listen saß und die Informationen verschlang, die ich ihr sandte. Die
Arbeitsteilung sagte uns beiden zu. Die Denkerin und die Lenkerin, hatten
wir gewitzelt.
»Falls Ros vermutete,
dass Granville irgendetwas mit Shakespeare im alten Westen zu tun hatte, wäre
das Shakespeare-Archiv in Utah der erste Ort, wo sie nachgesehen hätte.
Vielleicht finden wir dort ihre Spur - oder Granvilles.«
»Vielleicht«,
sagte Ben. Er schlug das Buch auf. »Ist er hier drin?«
»Ich habe es nie
gelesen.«
Ben blickte mich kopfschüttelnd
an, dann sah er wieder in das Buch. »Im Namensregister steht er
jedenfalls nicht.«
»Vielleicht hat sie ihn
für den nächsten Band aufgehoben«, sagte ich. »Oder
sie ist auf ihn gestoßen, nachdem das Buch in den Druck ging.«
Er klappte das Buch zu.
»Was ist, wenn Sie sich irren?«
»Dann hätten wir
zwei Tage und dreitausend Kilometer vergeudet. Aber ich irre mich nicht.«
Er nickte. »Und wenn
Sie recht haben und wir das Ding finden, und es ist wirklich das, was Sie
glauben - was wäre es wert?«
Ich fuhr mir durchs Haar. So
weit hatte ich noch nicht gedacht. Vielleicht kannten sie sich bei
Christie’s mit so etwas aus, doch soweit ich wusste, errechneten Auktionshäuser
die Schätzwerte anhand von Vergleichsobjekten. Und für das, was
Granville behauptete gefunden zu haben, gab es kein Vergleichsobjekt. Es
gab weder vergleichbare Ausgaben von ›Cardenio‹ noch ein
Manuskript irgendeines anderen Stücks aus derselben Zeit, das mit
Gewissheit von Shakespeare stammte. Erst recht kein Manuskript aus seiner
eigenen Feder. Nichts als sechs Ausführungen seiner Unterschrift, und
die befanden sich im Besitz irgendwelcher britischen Regierungsbehörden
und hatten nie zum Verkauf gestanden.
Wenn eine First Folio Edition
- eine von gut 230 Exemplaren - vor ein paar Jahren auf einer Auktion
sechs Millionen Dollar eingebracht hatte, wie Sir Henry sagte, dann wäre
das einmalige Manuskript eines verschollenen Stücks … wie viel
wert? Ich schüttelte den Kopf. Bei dem bloßen Gedanken wurde
mir schwindelig.
»Ich weiß es
nicht«, sagte ich. »Das weiß niemand. Aber solange wir
es nicht gefunden haben, ist es überhaupt nichts wert.«
»Mir scheint, es hat
bereits jemand einen Preis darauf ausgesetzt«, sagte Ben. »Einen
ziemlich hohen.«
Ich schauderte, als ich
verstand, was er meinte. Mord. Den Preis eines Menschenlebens. Flüchtig
tauchten Ros’ Augen vor mir auf, die mich unter der Bank im Globe
anstarrten. Doch der Mörder hatte nicht bei ihr haltgemacht. Ich sah
wieder die fahl beleuchtete Seite aus der Folio vor mir, die kleine, mit
blauer Tinte gezeichnete Hand, die auf die blutigen Worte wies: Auftritt
der geschändeten Lavinia, ihr sind die Hände abgehauen und die
Zunge ausgeschnitten …
»Der Preis meines
Lebens«, flüsterte ich.
»Das wäre also
geklärt«, sagte Ben.
Draußen heulten
Sirenen. Durch die Schaufenster sahen wir drei Streifenwagen, die auf der
Straße stehen blieben und die Tore zum Campus blockierten.
Instinktiv schob ich den
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