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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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bei ›Was ihr wollt‹
     Regie zu führen. 
    Ich hatte es nie bereut.
    In meiner Erinnerung
     leuchtete jener Sommer wie die Tage vor der Vertreibung aus dem Paradies.
     Ich brauche deine Hilfe, hatte Ros im Globe gesagt. Vorgestern ging es um
     das, was ich wusste. Vor vier Jahren hatte sie schon einmal das Gleiche
     gesagt, doch damals ging es um das, was ich war. Ihr knapper, hektischer
     Ostküstenstil kam nicht gut an bei den Ranchern und Kleinstädtern
     im Westen. Ich war zwar nicht direkt eine von ihnen, doch zumindest
     beherrschte ich die Ranch-Etikette. Mir machte es nichts aus, zu warten
     und erst mal ein Glas Bier oder Milch zu trinken und ein Stück Kuchen
     zu essen, bevor ich meine Fragen stellen oder um einen Gefallen bitten
     konnte. Ich war mir auch nicht zu fein, mir die Hände schmutzig zu
     machen. Wenn jemand Hilfe brauchte, um ein paar Kühe von einer Tränke
     zur anderen zu treiben, saß ich fest genug im Sattel, um mit
     anzupacken. Und aus diesem Grund brachte ich selbst die Leute zum Reden,
     die jemanden wie Ros mit stummem Misstrauen beäugten.
    Also fuhr ich kreuz und quer
     durch die wilde Landschaft und hielt für sie Augen und Ohren offen.
     Ros richtete währenddessen die Kommandozentrale im Utah Shakespeare
     Archive ein, wo sie zwischen Stapeln von kategorisierten alphabetischen
     Listen saß und die Informationen verschlang, die ich ihr sandte. Die
     Arbeitsteilung sagte uns beiden zu. Die Denkerin und die Lenkerin, hatten
     wir gewitzelt.
    »Falls Ros vermutete,
     dass Granville irgendetwas mit Shakespeare im alten Westen zu tun hatte, wäre
     das Shakespeare-Archiv in Utah der erste Ort, wo sie nachgesehen hätte.
     Vielleicht finden wir dort ihre Spur - oder Granvilles.«
    »Vielleicht«,
     sagte Ben. Er schlug das Buch auf. »Ist er hier drin?«          
    »Ich habe es nie
     gelesen.«
    Ben blickte mich kopfschüttelnd
     an, dann sah er wieder in das Buch. »Im Namensregister steht er
     jedenfalls nicht.«
    »Vielleicht hat sie ihn
     für den nächsten Band aufgehoben«, sagte ich. »Oder
     sie ist auf ihn gestoßen, nachdem das Buch in den Druck ging.«
    Er klappte das Buch zu.
     »Was ist, wenn Sie sich irren?«
    »Dann hätten wir
     zwei Tage und dreitausend Kilometer vergeudet. Aber ich irre mich nicht.«
    Er nickte. »Und wenn
     Sie recht haben und wir das Ding finden, und es ist wirklich das, was Sie
     glauben - was wäre es wert?«
    Ich fuhr mir durchs Haar. So
     weit hatte ich noch nicht gedacht. Vielleicht kannten sie sich bei
     Christie’s mit so etwas aus, doch soweit ich wusste, errechneten Auktionshäuser
     die Schätzwerte anhand von Vergleichsobjekten. Und für das, was
     Granville behauptete gefunden zu haben, gab es kein Vergleichsobjekt. Es
     gab weder vergleichbare Ausgaben von ›Cardenio‹ noch ein
     Manuskript irgendeines anderen Stücks aus derselben Zeit, das mit
     Gewissheit von Shakespeare stammte. Erst recht kein Manuskript aus seiner
     eigenen Feder. Nichts als sechs Ausführungen seiner Unterschrift, und
     die befanden sich im Besitz irgendwelcher britischen Regierungsbehörden
     und hatten nie zum Verkauf gestanden.
    Wenn eine First Folio Edition
     - eine von gut 230 Exemplaren - vor ein paar Jahren auf einer Auktion
     sechs Millionen Dollar eingebracht hatte, wie Sir Henry sagte, dann wäre
     das einmalige Manuskript eines verschollenen Stücks … wie viel
     wert? Ich schüttelte den Kopf. Bei dem bloßen Gedanken wurde
     mir schwindelig.
    »Ich weiß es
     nicht«, sagte ich. »Das weiß niemand. Aber solange wir
     es nicht gefunden haben, ist es überhaupt nichts wert.«
    »Mir scheint, es hat
     bereits jemand einen Preis darauf ausgesetzt«, sagte Ben. »Einen
     ziemlich hohen.«
    Ich schauderte, als ich
     verstand, was er meinte. Mord. Den Preis eines Menschenlebens. Flüchtig
     tauchten Ros’ Augen vor mir auf, die mich unter der Bank im Globe
     anstarrten. Doch der Mörder hatte nicht bei ihr haltgemacht. Ich sah
     wieder die fahl beleuchtete Seite aus der Folio vor mir, die kleine, mit
     blauer Tinte gezeichnete Hand, die auf die blutigen Worte wies: Auftritt
     der geschändeten Lavinia, ihr sind die Hände abgehauen und die
     Zunge ausgeschnitten …
    »Der Preis meines
     Lebens«, flüsterte ich.
    »Das wäre also
     geklärt«, sagte Ben.
    Draußen heulten
     Sirenen. Durch die Schaufenster sahen wir drei Streifenwagen, die auf der
     Straße stehen blieben und die Tore zum Campus blockierten.
     Instinktiv schob ich den

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