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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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was die
     Hitze ein wenig erträglicher machte.
    Wir waren noch nicht weit
     gekommen, als Ben plötzlich eine Ausfahrt nahm und wir auf einer
     ungepflasterten Sandpiste landeten. Nach einem kurzen Stück rumpelten
     wir durch ein Viehgatter und kamen hinter ein paar Pappeln zum Stehen. Die
     Sicht auf den Highway wurde von einem flachen Hügel verdeckt.
    »Elvis macht den Abflug«,
     erklärte Ben. Er zog den Zündschlüssel, stieg aus und
     kramte in seiner Tasche auf dem Rücksitz herum. »Wenn Sie von
     Krystal hören, sagen Sie mir Bescheid.« Dann machte er sich mit
     einem Stapel Kleider auf den Weg hinter die Bäume.
    Diesmal hatte ich nichts
     einzuwenden. In meinem Koffer fand ich ein Sommerkleid und ein Paar
     Sandalen. Ich suchte mir einen anderen Baum aus, hinter dem es eine Böschung
     zu einem kleinen Bach hinunterging. Dort zog ich mir die blonde Perücke
     vom Kopf und riss mir die schweißnassen Jeans und das Lycra-Top vom
     Leib. Selbst mein BH und Slip waren durchgeschwitzt, und ich zog alles
     aus. Einen Moment lang stand ich nackt im späten Nachmittagslicht,
     lockerte mein Haar und ließ mir den nach Wacholder duftenden Wind
     über die Haut streichen. Dann hörte ich Bens Schritte auf dem
     Schotterweg. Hastig schlüpfte ich in mein Kleid.
    »Die Geburt der Venus«,
     sagte Ben, als ich die Böschung hinaufkletterte.
    »Nur dass es hier kein
     Meer gibt«, antwortete ich. »Und soweit ich weiß, ist
     noch niemand kastriert worden, damit ich aus seinem Schaum erstehen könnte.«
    »Ich habe noch keine
     Frau getroffen, die so gut kontern kann«, sagte er, doch er klang amüsiert.
     »Trotzdem sehen Sie hübsch aus, ob es Ihnen passt oder nicht.«
    Mit der Dämmerung
     erreichten wir Cedar City. Die Stadt lag am Fuß der roten Hügel
     zwischen zwei Nationalparks, Bryce Canyon und Zion Canyon. Die Einfallstraße
     war, typisch für den Westen, eine heruntergekommene Collage aus
     Motels, Tankstellen und Shopping-Malls. Doch gleich dahinter schloss sich
     das alte Mormonenstädtchen an, mit ordentlichen Häuserreihen
     zwischen planvoll angelegten Straßen nach dem Muster des Mormonenführers
     Brigham Young: Jede Straße sollte breit genug sein, dass ein
     Planwagen darin wenden konnte. In Boston, dachte ich missmutig, hätte
     man vierspurige Verkehrsadern daraus gemacht, in denen sich der Verkehr im
     Schritttempo dahinschieben würde. Hier waren die Straßen so gut
     wie leer und wurden rechts und links von gepflegten Rasenflächen und
     riesigen alten Eschen und Ahornbäumen gesäumt. Von der Straße
     zurückgesetzt standen Häuser im Neo-Tudorstil und rustikale
     Bungalows mit großen Terrassen und Kletterrosen, die sich an den
     Mauern emporrankten. Zwischen den Bürgersteigen und der Straße
     gluckerten in tiefen Rinnsteinen Bäche, die aus den Bergen kamen und
     die Luft mit dem Plätschern von frischem Wasser erfüllten.
    Wir stellten den Wagen vor
     dem Campus der University of Southern Utah ab, auf dem Parkplatz des
     Shakespeare-Festivals. Langsam stieg Ben aus und rieb sich verwundert die
     Augen. Hinter dem flachen Halbrund eines Auditoriums aus den
     Sechzigerjahren reckten sich die Giebel eines elisabethanischen Theaters
     in den nächtlichen Himmel. Die spitzen Dächer waren mit Ziegeln,
     nicht mit Stroh gedeckt, doch sie wirkten lebendig im warmen Schein von
     Laternen, deren gelbes Licht an Fackeln erinnerte.
    Plakate verkündeten,
     dass heute Abend eine Aufführung von ›Romeo und Julia‹
     stattfand. Einen kurzen Moment betrachtete ich das unversehrte Theater mit
     einem neidischen Blick, dann schlugen wir den Weg durch den kleinen
     Fichtenhain ein, der um das Auditorium herumführte. Im Schatten der Bäume
     herrschte bereits tiefe Nacht, und einen Augenblick lang tappten wir blind
     durch die Finsternis. Von der anderen Seite drang Gelächter herüber.
     Als wir aus den Bäumen ins Freie traten, standen wir auf einer großen
     Wiese auf der anderen Seite des Theaters. Überall saßen Leute
     auf Bänken und im Gras, manche waren sogar auf die Bäume
     geklettert. Bei Kuchen und Keksen ließen sie sich von einer Truppe
     quirliger, grün gekleideter Schauspieler unterhalten, die sich durch
     L. Frank Baums Parodie auf Julius Cäsar kicherten - es ging um Julius
     Sneezer, Brutus Catarrhus und dessen verlorenes Taschentuch. Parallel dazu
     schlenderten Mädchen in altmodischen Röcken und Korsagen durch
     die Menge und boten feil, was sie in ihren Körben hatten:

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