Die Shakespeare-Morde
was die
Hitze ein wenig erträglicher machte.
Wir waren noch nicht weit
gekommen, als Ben plötzlich eine Ausfahrt nahm und wir auf einer
ungepflasterten Sandpiste landeten. Nach einem kurzen Stück rumpelten
wir durch ein Viehgatter und kamen hinter ein paar Pappeln zum Stehen. Die
Sicht auf den Highway wurde von einem flachen Hügel verdeckt.
»Elvis macht den Abflug«,
erklärte Ben. Er zog den Zündschlüssel, stieg aus und
kramte in seiner Tasche auf dem Rücksitz herum. »Wenn Sie von
Krystal hören, sagen Sie mir Bescheid.« Dann machte er sich mit
einem Stapel Kleider auf den Weg hinter die Bäume.
Diesmal hatte ich nichts
einzuwenden. In meinem Koffer fand ich ein Sommerkleid und ein Paar
Sandalen. Ich suchte mir einen anderen Baum aus, hinter dem es eine Böschung
zu einem kleinen Bach hinunterging. Dort zog ich mir die blonde Perücke
vom Kopf und riss mir die schweißnassen Jeans und das Lycra-Top vom
Leib. Selbst mein BH und Slip waren durchgeschwitzt, und ich zog alles
aus. Einen Moment lang stand ich nackt im späten Nachmittagslicht,
lockerte mein Haar und ließ mir den nach Wacholder duftenden Wind
über die Haut streichen. Dann hörte ich Bens Schritte auf dem
Schotterweg. Hastig schlüpfte ich in mein Kleid.
»Die Geburt der Venus«,
sagte Ben, als ich die Böschung hinaufkletterte.
»Nur dass es hier kein
Meer gibt«, antwortete ich. »Und soweit ich weiß, ist
noch niemand kastriert worden, damit ich aus seinem Schaum erstehen könnte.«
»Ich habe noch keine
Frau getroffen, die so gut kontern kann«, sagte er, doch er klang amüsiert.
»Trotzdem sehen Sie hübsch aus, ob es Ihnen passt oder nicht.«
Mit der Dämmerung
erreichten wir Cedar City. Die Stadt lag am Fuß der roten Hügel
zwischen zwei Nationalparks, Bryce Canyon und Zion Canyon. Die Einfallstraße
war, typisch für den Westen, eine heruntergekommene Collage aus
Motels, Tankstellen und Shopping-Malls. Doch gleich dahinter schloss sich
das alte Mormonenstädtchen an, mit ordentlichen Häuserreihen
zwischen planvoll angelegten Straßen nach dem Muster des Mormonenführers
Brigham Young: Jede Straße sollte breit genug sein, dass ein
Planwagen darin wenden konnte. In Boston, dachte ich missmutig, hätte
man vierspurige Verkehrsadern daraus gemacht, in denen sich der Verkehr im
Schritttempo dahinschieben würde. Hier waren die Straßen so gut
wie leer und wurden rechts und links von gepflegten Rasenflächen und
riesigen alten Eschen und Ahornbäumen gesäumt. Von der Straße
zurückgesetzt standen Häuser im Neo-Tudorstil und rustikale
Bungalows mit großen Terrassen und Kletterrosen, die sich an den
Mauern emporrankten. Zwischen den Bürgersteigen und der Straße
gluckerten in tiefen Rinnsteinen Bäche, die aus den Bergen kamen und
die Luft mit dem Plätschern von frischem Wasser erfüllten.
Wir stellten den Wagen vor
dem Campus der University of Southern Utah ab, auf dem Parkplatz des
Shakespeare-Festivals. Langsam stieg Ben aus und rieb sich verwundert die
Augen. Hinter dem flachen Halbrund eines Auditoriums aus den
Sechzigerjahren reckten sich die Giebel eines elisabethanischen Theaters
in den nächtlichen Himmel. Die spitzen Dächer waren mit Ziegeln,
nicht mit Stroh gedeckt, doch sie wirkten lebendig im warmen Schein von
Laternen, deren gelbes Licht an Fackeln erinnerte.
Plakate verkündeten,
dass heute Abend eine Aufführung von ›Romeo und Julia‹
stattfand. Einen kurzen Moment betrachtete ich das unversehrte Theater mit
einem neidischen Blick, dann schlugen wir den Weg durch den kleinen
Fichtenhain ein, der um das Auditorium herumführte. Im Schatten der Bäume
herrschte bereits tiefe Nacht, und einen Augenblick lang tappten wir blind
durch die Finsternis. Von der anderen Seite drang Gelächter herüber.
Als wir aus den Bäumen ins Freie traten, standen wir auf einer großen
Wiese auf der anderen Seite des Theaters. Überall saßen Leute
auf Bänken und im Gras, manche waren sogar auf die Bäume
geklettert. Bei Kuchen und Keksen ließen sie sich von einer Truppe
quirliger, grün gekleideter Schauspieler unterhalten, die sich durch
L. Frank Baums Parodie auf Julius Cäsar kicherten - es ging um Julius
Sneezer, Brutus Catarrhus und dessen verlorenes Taschentuch. Parallel dazu
schlenderten Mädchen in altmodischen Röcken und Korsagen durch
die Menge und boten feil, was sie in ihren Körben hatten:
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