Die Shakespeare-Morde
Bibliothekars auf die Idee, zu Debrett’s zu eilen und mir die
Peerage anzusehen, wo ich erfuhr, daß es zu Zeiten König Jakobs
I. einen Grafenstand von Somerset gab. Die Familie des Grafen von Somerset
hieß Carr - ein Name, der zwangsläufig meine Neugierde weckte.
»Carr«, flüsterte
Athenaide. »Cardenio.« Sie sah mich vielsagend an. »Interessant,
in der Tat.«
Ich las weiter. Die willkürlichen
Unterstreichungen gaben der Prosa eine kindliche Note.
Und weiter - was denkst
Du? Seine Gräfin war eine geborene Howard!! Taufname der armen Lady
war Frances - sie war die Schwester des letzten, wenn auch nicht
unbedeutenden Glieds der Kette, nämlich von Theophilus, Lord Howard
de Waiden, dem die erste englische Übersetzung von Quixote gewidmet
war.
»Quixote«, flüsterte
Ben. »Stimmt das?«
Ich nickte. Dann überflog
ich den Brief und fasste ihn zusammen. Die Geschichte der Frances Howard
und des Grafen von Somerset war tatsächlich so anstößig,
wie Jems Korrespondentin versprochen hatte, und im Großen und Ganzen
hatte sie die historischen Fakten richtig wiedergegeben.
Zu Beginn des 17.
Jahrhunderts war Frances Howard eine blonde Schönheit gewesen, der
ganze Stolz einer der stolzesten und habgierigsten Sippen der englischen
Geschichte. Als Robert Carr ihr den Hof zu machen begann, war sie Gräfin
von Essex, seit sechs Jahren mit dem Grafen von Essex verheiratet. Auch
Robert Carr war blond und schön, doch er war nicht mehr als ein
verarmter schottischer Landjunker, bis er das Interesse des Königs
erregte, als er vom Pferd fiel und sich das Bein brach. Der König
verliebte sich in Carr, überschüttete ihn mit Titeln und Reichtümern
und verhätschelte ihn wie ein Schoßhündchen.
»Was ist passiert, als
der König das Interesse seines Geliebten für die Gräfin
bemerkte?«, fragte Ben.
»Auf Frauen war er
nicht eifersüchtig«, erklärte ich. »Jakob I.
ermutigte seine Lieblinge sogar zu heiraten. Als er von Carrs Vorliebe für
Frances hörte, beschloss er, dass sein geliebter Carr haben sollte,
was er begehrte - koste es, was es wolle. Und es kostete einiges: zum
Beispiel die Annullierung von Frances’ erster Ehe, auf der Frances
und ihre Familie beharrten. Obwohl der König Einfluss auf die
Untersuchungskommission hatte, musste er sich mächtig ins Zeug legen.
Sobald die Annullierung durch war, erhob er Carr vom Viscount zum Grafen
von Somerset, damit er Frances im Rang ebenbürtig war.
Die bald folgende Hochzeit
war beinahe königlich. Und der König«, fuhr ich fort -
dieses Detail hatte die Schreiberin ausgelassen -, »hat sich
angeblich am nächsten Morgen zu den Frischvermählten ins Bett
gelegt.«
»Geschichte, auf die
man stolz sein kann«, sagte Ben. »Denken Sie nur, wie viel
Ärger Heinrich VIII. sich gespart hätte, wenn er Anne Boleyn
einfach verheiratet hätte und seine Mätresse und ihren Mann,
wann immer es ihm gefiel, mit einer Ménage à trois beglückt
hätte.«
»Heinrich brauchte
einen Erben«, wandte Athenaide ein. »Jakob nicht.«
»Der König hatte
Glück, dass er Frances nicht in die Quere kam«, bemerkte ich.
»Und Essex auch. Carr - inzwischen Graf von Somerset - hatte noch
einen anderen Liebhaber, der es tat, oder zumindest versuchte. Frances
spann eine Intrige und beförderte ihren Rivalen in den Tower von
London, wohin sie ihm als Zeichen ihres Mitgefühls einen Korb
Marmeladenplätzchen schicken ließ.«
»Die Königin der
Herzen, stets aufgelegt zu Scherzen«, sagte Ben trocken.
»Die sie vergiftet
hatte«, ergänzte ich. »Der arme Mann starb unter
Schmerzen. Frances bekannte sich vor dem House of Lords des Mordes
schuldig. Somerset erklärte sich für unschuldig, beide wurden
verurteilt. Über beide wurde die Todesstrafe verhängt, doch der
König wandelte die Urteile in lebenslänglich um. Es war der größte
Justizskandal des jakobäischen Zeitalters.«
»Lustiges altes England«,
sagte Ben. »Und Granville wollte, dass seine Brieffreundin sich
über diese Leute erkundigt? Gab es denn eine Verbindung zu
Shakespeare?«
»Nicht dass ich wüsste.
Aber es gibt eine Verbindung zu ›Don Quixote‹ und damit zu
›Cardenio‹.«
»Lesen Sie weiter«,
sagte Athenaide.
Was vielversprechend für
unsere Arbeit aussieht - ich hoffe, da bist Du der gleichen Meinung-, ist die
interessante Geometrie ihres
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