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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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ließ - hatte
     vorgehabt, Granville persönlich aufzusuchen. Von Massachusetts nach
     Arizona. Keine Reise, die man im Jahr 1881 auf die leichte Schulter nahm.
    Ich las bis zu Ende, doch sie
     schrieb nur noch ein paar bedeutungslose Nichtigkeiten. Der Brief endete
     mit einem Shakespeare-Zitat, das sie unterstrichen hatte:
     
    Liebe fnd’t zuletzt
     ihr Stündlein.
    Das weiß jeder
     Mutter Kind.
     
    Deine Briefe hüte ich
     wie meine teuersten Juwelen,
    Ophelia Fayrer Granville
     
    Ophelia, dachte ich
     schaudernd.
    »Die Ophelias vermehren
     sich wie die Fliegen«, stellte Ben fest. »Nicht diese«,
     sagte Athenaide. »Die arme Frau. Ihr Geliebter kam nie zurück.«
    »Ihr Ehemann«,
     sagte Ben. »Sie unterschreibt mit Granville.«
    »Und was noch wichtiger
     ist«, erklärte ich, »sie bewahrte seine Briefe auf. Die
     Spur zu Jeremy Granville führt über Ophelia.«
    »Wir müssen
     Ophelia finden«, sagte Athenaide.
    »Und die Briefe«,
     antwortete ich.
    »Meinen Sie, die
     existieren noch?«, fragte Ben.
    »Ich glaube, Ros war
     davon überzeugt.«
    Er berührte den
     Briefumschlag. »Nicht nur die Briefmarke ist britisch«,
     stellte er fest. »Auch die Schreibweise. Und der Tonfall. Sie klingt
     durch und durch britisch.«
    »Sie schrieb aus dem
     Savoy«, überlegte ich. »Das heißt, sie war keine
     Londonerin. Sie hatte Geld, aber sie kannte nicht viele Leute in London,
     sonst hätte sie nicht im Hotel gewohnt.« Ich schüttelte
     den Kopf. Das war nicht viel.   
    »Auf der Rückseite
     ist noch ein Postskriptum«, sagte Athenaide.       
    Ich drehte den Brief um.
     Ophelia hatte hastig zwei Zeilen auf die Rückseite geschrieben,
     anscheinend nachdem sie das Blatt für die Post gefaltet hatte.
     
    Eben erhielt ich die
     Erlaubnis der Familie Bacon aus Connecticut, auf dem Weg zu Dir Miß
     Bacons Papiere durchsehen zu dürfen!! Schreib mir genau, wonach ich suchen
     soll.
     
    Lächelnd blickte
     Athenaide zu dem Millais über dem Kamin. »Ich schätze, Sie
     verstehen den Verweis auf Miss Bacon.«
    Ben sah uns verständnislos
     an. »Wer ist Miss Bacon?«
    »Delia Bacon.«
     Ich stützte den Kopf in beide Hände. »Eine
     Literaturwissenschaftlerin aus dem 19. Jahrhundert, die von ihrer
     Shakespeare-Besessenheit in den Wahnsinn getrieben wurde.«
    »Inwiefern war sie
     besessen?«, fragte Ben.
    Athenaide riss den Blick von
     dem Bild und sah mich an. »Sie war besessen von der Idee, dass
     William Shakespeare aus Stratford die Stücke, die seinen Namen
     tragen, nicht geschrieben hat.«
    Eine lange Pause entstand.
    »Das ist doch lächerlich«,
     erklärte Ben. Doch als keine von uns etwas sagte, fragte er: »Oder?«
    »Nicht lächerlich«,
     sagte ich leise. »Delia Bacon war brillant. In einer Zeit, als
     gebildete Frauen einer gewissen Klasse als Erzieherinnen in Kinderstuben
     verbannt wurden, machte sich Delia Bacon als Gelehrte einen Namen. Sie
     verdiente mit einer Vorlesungsreihe in New York und New England ihr
     eigenes Geld, indem sie vor ausverkauften Sälen über Literatur
     und Geschichte referierte. Doch ihre Leidenschaft galt Shakespeare, und am
     Ende gab sie ihre hart erkämpfte Karriere auf, um seine Stücke
     zu studieren.«
    Wenn ich Delias Geschichte
     erzählte, konnte ich nicht still sitzen bleiben. Ich stand auf und
     ging im Saal auf und ab, wobei ich die Finger über die Wandbehänge
     gleiten ließ, die sich unter der Berührung bauschten. »Delia
     war überzeugt, dass sie eine tiefere Philosophie entdeckt hatte, die
     sich durch Shakespeares gesamte Dramen zog. Und schließlich kam sie
     zu der Überzeugung, dass der Mann aus Stratford unmöglich solch
     sublime Werke verfasst haben konnte. Also schiffte sie sich nach England
     ein und verbrachte zehn Jahre isoliert in verschiedenen engen, kalten Kämmerchen,
     wo sie das Buch schrieb, das ihre Theorie beweisen sollte.«
    Durch die Bogenfenster auf
     der Galerie ergoss sich der wildwestliche Morgen und flutete den
     Marmorboden mit hellem Sonnenlicht. »Als ihr Werk endlich vollendet
     war, erwartete sie Applaus, doch stattdessen bekam sie erst Schweigen,
     dann Spott. Unter dem Druck brach sie zusammen. Man brachte sie in die nächste
     Anstalt, und zwei Jahre später starb sie im Irrenhaus, ohne je wieder
     einen Satz ihrer geliebten Dramen gelesen oder gehört zu haben. Ihr
     Bruder sorgte dafür, dass in ihrer Gegenwart nicht einmal der Name
     des Barden ausgesprochen werden durfte.«
    »Also nicht

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