Die Shakespeare-Morde
Liebesdreiecks mit Essex.
Athenaide berührte
meinen Arm. »Gibt es ein Liebesdreieck in ›Cardenio‹?«
Zögernd sah ich sie an.
»Ja.«
»Also wäre es
denkbar, dass Cardenio für Carr steht, den Grafen von Somerset, und für
die Dreiecksgeschichte mit Essex und seiner Gräfin?«
»Nein.« Mein
Einspruch kam schärfer heraus als beabsichtigt. Ich versuchte es zu
erklären. »Wenn der Gespiele des Königs Carr heißt
und man töricht genug wäre, auf der Bühne auf ihn anspielen
zu wollen, wäre ›Cardenio‹ der letzte Name, den man
sich aussuchen würde. Viel zu offensichtlich. Und damit viel zu gefährlich.«
»Sie glauben doch nicht
wirklich, dass Shakespeare ein Mann war, der sich vor Gefahr fürchtete?«
»Die Rachsucht eines Königs
der Renaissance würde jeder halbwegs intelligente Mensch fürchten«,
gab ich zurück. »Doch der größere Haken an Ihrer
Theorie ist, dass Dreieck nicht gleich Dreieck ist. Im ›Quixote‹
ist Cardenio die erste und wahre Liebe der Dame, und er wird von einem
heimtückischen Nebenbuhler ausgebootet. Doch Frances Howards erster
Mann war ein impotenter Tugendbold, der sie weder lieben noch gehen lassen
wollte. Carr war der Neuankömmling, und er rettete sie aus einer Ehe,
die wenig kuscheliger war als eine Kerkerzelle.«
»Essex war impotent?«,
fragte Ben.
»Wer weiß es
genau? Jedenfalls hat das Oberhaupt des Howard-Clans - Frances’
Onkel oder Großonkel, ich bringe sie immer durcheinander - Essex
gerne ›meinen Lord, den Eunuchen‹ betitelt.«
Athenaide kniff die Augen
zusammen. »Sie sind gekommen, um etwas über ›Cardenio‹
zu finden, und hier bietet sich eine Theorie. Warum tun Sie sie so sang-
und klanglos ab?«
»Ich suche nichts
über ›Cardenio‹.«
Sie sah von mir zu Ben, und
dann wieder zu mir. »Wie bitte?«
Bens Missbilligung traf mich
wie ein kalter Luftzug, doch Athenaides Billigung war jetzt wichtiger.
»Wir sind nicht hergekommen, um etwas über das Stück
herauszufmden. Wir suchen das Stück. Granville behauptet, er hätte
eine Kopie des Manuskripts gefunden.«
Eine kurze, sprachlose Pause
entstand. Auf Athenaides Stirn bildete sich eine steile Falte. »Und
Sie glauben, Sie können dieses Manuskript finden?« Gier
flackerte in ihren Augen auf.
»Ros glaubte es.«
»Wie?«
»Ich weiß es
nicht. Aber ich glaube nicht, dass die Verbindung zu den Howards eine
Rolle spielt. Sonst hätte Granville sich nicht erst damit beschäftigt,
nachdem er das Stück schon gefunden hatte.«
Athenaide neigte nachdenklich
den Kopf. Dann blinzelte sie und trat einen Schritt zurück.
»Lesen Sie weiter.«
Ich hin recht zufrieden,
daß es mir gelungen ist, diesen ersten Satz von Verbindungen
auszugraben. Zumindest betäubt es die Qual, Dir von meinem
vollkommenen Versagen zu berichten, was die zweite Sache angeht. Ich kann
nichts finden, das auf irgendeine Familienbande zwischen dem Grafen und
dem Poeten Hinweisen könnte. Ich wünschte, Du könntest mir
sagen, was diese Frage aufgeworfen hat.
Das wünschte ich auch,
dachte ich.
»Granville dachte, sie
wären verwandt?«, fragte Ben. »Shakespeare und die
giftigen Howards?«
»Das ist noch nicht
alles«, sagte ich, während ich weiterlas. »Anscheinend
glaubte er, dass auch noch ein Geistlicher im Spiel war. Ein katholischer
Priester.«
»Das wäre ein
Spiel mit dem Feuer gewesen, nicht wahr?«, fragte Ben.
Ich nickte. »Wegen des
Umgangs mit einem Priester konnte man alles verlieren - Lebensunterhalt,
Grundbesitz, die ganze Habe, sogar die Vormundschaft für die eigenen
Kinder. Falls der Verdacht bestand, man wäre mit den Jesuiten im
Verein gegen die Königin, konnte man wegen Hochverrats gehängt,
ertränkt oder gevierteilt werden. Trotzdem meint die Schreiberin, an
der Sache mit dem Priester könnte etwas dran sein.«
Ben sah mir über die
Schulter. »Woher wissen wir, dass Granville nicht übergeschnappt
war?«
»Er scheint Professor
Child überzeugt zu haben. Hören Sie sich das an:«
Vielleicht kann Professor
Child Dir mehr verrathen. Ich muß zugeben, ich war überrascht
von seinem Eifer, Dich aufzusuchen -freilich habe ich ihn darin bestärkt.
Er würde gewiß nicht all die Mühe auf sich nehmen, wenn er
nicht ernstlich glaubte, Dein Fund könne echt sein.
Der Professor - nicht eben
ein Flattergeist, der sich leicht in Wallung versetzen
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