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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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in vollkommener Finsternis. Dann blitzte lautlos ein gelbes
     Licht auf und bewegte sich von uns weg, als Graciela in den Tunnel lief. Für
     ihre Masse war sie erstaunlich behände. Ich musste rennen, um
     mitzuhalten.
    Ich weiß nicht, womit
     ich gerechnet hatte - Fledermäuse, Spinnweben, Brackwasser und alte
     Ketten an den Wänden -, aber was ich vorfand, überraschte mich:
     ein sauber gefegter, gemauerter Korridor, der hoch genug war, dass selbst
     Ben aufrecht gehen konnte. Das Licht funktionierte per Bewegungsmelder -
     kurz vor uns ging es an und erlosch hinter uns -, und wären wir nicht
     an ein paar Türen vorbeigekommen, hätte ich geglaubt, wir würden
     auf der Stelle laufen.
    Der Gang schien endlos zu
     sein, und ich hatte das Gefühl, wir passierten immer gleiche Türen
     auf beiden Seiten. Erst ging es bergab, dann über mehrere Stufen
     wieder nach oben. Irgendwann machte der Gang eine Biegung nach rechts. Wir
     mussten einige Hundert Meter zurückgelegt haben, als wir ans Ende des
     Tunnels kamen. Die Tür war nicht gekennzeichnet, es gab nur ein
     Tastenfeld an der Wand.
    Graciela gab einen Code ein,
     und die Tür glitt auf.
    Das Tageslicht blendete mich.
     »Adelante«, sagte Graciela und schob uns durch den Türspalt.
     »Adios«, sagte sie dann. Hinter uns schloss sich die Tür,
     und ein Felsbrocken glitt zurück an seinen Platz.
    Ich beschirmte mit der Hand
     die Augen und musste im grellen Licht blinzeln. Wir standen in einem
     ausgetrockneten Flussbett auf einer Art Vorsprung mit großen Felsblöcken
     im Rücken. Die Böschung war nur einen halben Meter hoch und
     wurde von Mesquite-Sträuchern gesäumt. Am Rand standen zwei Paar
     Schuhe. Bens und meine. Daneben lag Bens Revolver.
    Wir kletterten die Böschung
     hinauf, packten unsere Schuhe und suchten unter den Sträuchern
     Deckung. Ein Stück weiter vorne tauchte ein bronzefarbener Geländewagen
     mit getönten Scheiben auf und rollte mit surrendem Allradantrieb
     langsam in unsere Richtung. Als er die Böschung hinunter ins
     Flussbett rumpelte und vor uns stehen blieb, sah ich, dass es ein Cadillac
     Escalade war.
    Das Fenster auf der
     Fahrerseite glitt herunter.
    »Hereinspaziert«,
     trällerte Athenaide zufrieden.
    *
    Ein paar Minuten später
     stießen wir schwungvoll auf die gepflasterte Straße zurück
     und fuhren durch eine staubige Wohngegend, deren Straßen von Fertighäusern
     und ausgebleichten Gipsschreinen für die Jungfrau Maria und den
     heiligen Franziskus gesäumt wurden.
    »Willkommen am
     Lordsburg Municipal Airport«, sagte Athenaide, als wir ein Tor in
     einem Maschendrahtzaun passierten. »Charles Lindbergh ist hier
     gelandet. Dieser Flugplatz ist älter als JFK und O’Hare.«
    »Nur das Wachstum
     scheint weniger rasant gewesen zu sein«, bemerkte Ben.
    »Hauptsächlich
     haben ihn die örtlichen Rancher mit ihren Cessnas und Privatpiloten
     benutzt, um hier Station zu machen, wenn sie das Land durchquerten«,
     sagte Athenaide. »Jedenfalls bis letztes Jahr.«
    Wir parkten direkt an der
     Startbahn, und dann sah ich Athenaides Flugzeug. Es war ein ausgewachsener
     Jet - ein Gulfstream V, wie Ben mir zuflüsterte -, und die Motoren
     setzten sich bereits in Bewegung.
    »Wir müssen nur
     noch die Startbahn verlängern«, rief Athenaide fröhlich.
    *
    In der Kabine des Jets legte
     Athenaide die blaue Mappe mit Ophelias Brief auf den Konferenztisch. In
     einem Korb, der am Tisch befestigt war, fand ich meine Bücher. Als
     Erstes schlug ich den Chambers auf.
    Ros’ Karte, Granvilles
     Brief an Child und die Kopien der Zeitungsartikel waren noch da.
    Selbst ein Jet braucht für
     die Strecke von New Mexico nach Washington, D. C., vier Stunden. Ben
     suchte sich während des Fluges im ›Don Quixote‹ die
     Cardenio-Geschichte zusammen, und ich half Athenaide, ›Dopelte
     Falschheit im Internet zu finden. Als Ben fertig war, übernahm sie
     ›Don Quixote‹, während er ein bisschen schlief.
    Ich behielt den Chambers-Band
     auf dem Schoß und sah nervös aus dem Fenster. In meiner
     Dissertation war Delia Bacon kaum mehr als eine Fußnote gewesen,
     aber das wenige, das ich von ihr wusste, hatte mich fasziniert. Doch als
     ich zu Ros sagte, dass ich gerne Delias Biografie schreiben würde,
     hatte sie meine Idee mit einem ernsthaften Gespräch über
     karrieretaugliche Aufsätze abgeschmettert. Nur weil Miss Bacon verrückt
     war, sei sie noch lange nicht »au courant«, hatte Ros gesagt.
     Man würde

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