Die Shakespeare-Morde
in vollkommener Finsternis. Dann blitzte lautlos ein gelbes
Licht auf und bewegte sich von uns weg, als Graciela in den Tunnel lief. Für
ihre Masse war sie erstaunlich behände. Ich musste rennen, um
mitzuhalten.
Ich weiß nicht, womit
ich gerechnet hatte - Fledermäuse, Spinnweben, Brackwasser und alte
Ketten an den Wänden -, aber was ich vorfand, überraschte mich:
ein sauber gefegter, gemauerter Korridor, der hoch genug war, dass selbst
Ben aufrecht gehen konnte. Das Licht funktionierte per Bewegungsmelder -
kurz vor uns ging es an und erlosch hinter uns -, und wären wir nicht
an ein paar Türen vorbeigekommen, hätte ich geglaubt, wir würden
auf der Stelle laufen.
Der Gang schien endlos zu
sein, und ich hatte das Gefühl, wir passierten immer gleiche Türen
auf beiden Seiten. Erst ging es bergab, dann über mehrere Stufen
wieder nach oben. Irgendwann machte der Gang eine Biegung nach rechts. Wir
mussten einige Hundert Meter zurückgelegt haben, als wir ans Ende des
Tunnels kamen. Die Tür war nicht gekennzeichnet, es gab nur ein
Tastenfeld an der Wand.
Graciela gab einen Code ein,
und die Tür glitt auf.
Das Tageslicht blendete mich.
»Adelante«, sagte Graciela und schob uns durch den Türspalt.
»Adios«, sagte sie dann. Hinter uns schloss sich die Tür,
und ein Felsbrocken glitt zurück an seinen Platz.
Ich beschirmte mit der Hand
die Augen und musste im grellen Licht blinzeln. Wir standen in einem
ausgetrockneten Flussbett auf einer Art Vorsprung mit großen Felsblöcken
im Rücken. Die Böschung war nur einen halben Meter hoch und
wurde von Mesquite-Sträuchern gesäumt. Am Rand standen zwei Paar
Schuhe. Bens und meine. Daneben lag Bens Revolver.
Wir kletterten die Böschung
hinauf, packten unsere Schuhe und suchten unter den Sträuchern
Deckung. Ein Stück weiter vorne tauchte ein bronzefarbener Geländewagen
mit getönten Scheiben auf und rollte mit surrendem Allradantrieb
langsam in unsere Richtung. Als er die Böschung hinunter ins
Flussbett rumpelte und vor uns stehen blieb, sah ich, dass es ein Cadillac
Escalade war.
Das Fenster auf der
Fahrerseite glitt herunter.
»Hereinspaziert«,
trällerte Athenaide zufrieden.
*
Ein paar Minuten später
stießen wir schwungvoll auf die gepflasterte Straße zurück
und fuhren durch eine staubige Wohngegend, deren Straßen von Fertighäusern
und ausgebleichten Gipsschreinen für die Jungfrau Maria und den
heiligen Franziskus gesäumt wurden.
»Willkommen am
Lordsburg Municipal Airport«, sagte Athenaide, als wir ein Tor in
einem Maschendrahtzaun passierten. »Charles Lindbergh ist hier
gelandet. Dieser Flugplatz ist älter als JFK und O’Hare.«
»Nur das Wachstum
scheint weniger rasant gewesen zu sein«, bemerkte Ben.
»Hauptsächlich
haben ihn die örtlichen Rancher mit ihren Cessnas und Privatpiloten
benutzt, um hier Station zu machen, wenn sie das Land durchquerten«,
sagte Athenaide. »Jedenfalls bis letztes Jahr.«
Wir parkten direkt an der
Startbahn, und dann sah ich Athenaides Flugzeug. Es war ein ausgewachsener
Jet - ein Gulfstream V, wie Ben mir zuflüsterte -, und die Motoren
setzten sich bereits in Bewegung.
»Wir müssen nur
noch die Startbahn verlängern«, rief Athenaide fröhlich.
*
In der Kabine des Jets legte
Athenaide die blaue Mappe mit Ophelias Brief auf den Konferenztisch. In
einem Korb, der am Tisch befestigt war, fand ich meine Bücher. Als
Erstes schlug ich den Chambers auf.
Ros’ Karte, Granvilles
Brief an Child und die Kopien der Zeitungsartikel waren noch da.
Selbst ein Jet braucht für
die Strecke von New Mexico nach Washington, D. C., vier Stunden. Ben
suchte sich während des Fluges im ›Don Quixote‹ die
Cardenio-Geschichte zusammen, und ich half Athenaide, ›Dopelte
Falschheit im Internet zu finden. Als Ben fertig war, übernahm sie
›Don Quixote‹, während er ein bisschen schlief.
Ich behielt den Chambers-Band
auf dem Schoß und sah nervös aus dem Fenster. In meiner
Dissertation war Delia Bacon kaum mehr als eine Fußnote gewesen,
aber das wenige, das ich von ihr wusste, hatte mich fasziniert. Doch als
ich zu Ros sagte, dass ich gerne Delias Biografie schreiben würde,
hatte sie meine Idee mit einem ernsthaften Gespräch über
karrieretaugliche Aufsätze abgeschmettert. Nur weil Miss Bacon verrückt
war, sei sie noch lange nicht »au courant«, hatte Ros gesagt.
Man würde
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