Die Sherbrooke Braut
Brief zu ihrem Vater bringen. Sie würde zugeben müssen, daß sie ahnte, was zwischen den beiden geschehen war.
Sie haßte sich selbst in diesem Augenblick. Wußte, daß sie eifersüchtig, kleinlich und gemein war und von niemandem Nachsicht verdiente.
Nachdem der Herzog den Brief gelesen hatte, legte er ihn auf seinen Schreibtisch, ging zum großen Fenster und starrte hinaus in den Garten. In der Ferne sah er vier Pfauen einherstolzieren. Drei Gänse schnatterten. Eine Ziege war an einem Eibenbusch festgebunden.
Nach einer Ewigkeit, so wenigstens erschien es Alexandra, wandte er sich gedankenverloren an seine jüngere Tochter. Er lächelte ihr tatsächlich zu. Zu ihrer Überraschung nahm er es leicht. »Es ist einfach geschehen, würdest du es nicht auch so sehen, Liebes? Keine große Überraschung, keine aufsehenerregende Enthüllung. Nein, es hat mich nicht erschüttert, Alex, denn Tony hatte mir einen recht ausführlichen und entschuldigenden Brief hinterlassen, der sehr viel mehr aussagte, als dieser hier von Melissande. Er weiß, daß er nicht ehrenhaft gehandelt hat. Wir werden sehen.«
»O, Papa, ich wußte es, ich wußte es, aber ich wollte...« Ihr Vater lachte in sich hinein und winkte ab. »Du ahntest auch, was Lord Rathmore tun würde, meine Liebe?«
»Nicht, daß sie nach Gretna Green gehen, aber vielleicht, daß sie sich weigern würden, mit den Hochzeitsvorbereitungen weiterzumachen... ich kann dich nicht anlügen, Papa. Aber ich ahnte nicht, daß du...«
Alexandra stand da, rang ihre Hände. Ihre offensichtliche Qual ließ jedes elterliche Herz schmelzen. Ihr Schuldgefühl wuchs, statt sich zu verringern. Der Herzog beobachtete sie eine Weile und beruhigte sie dann. »Ja, ich wußte, daß Tony Melissande wollte und daß sie ihn wollte. Ich habe noch nie zwei Menschen gesehen, die so hingerissen voneinander waren - und das so schnell. Tony ist ein netter junger Mann - intelligent, witzig und gutaussehend. Alles sehr wichtige Eigenschaften für Frauen. Außerdem ist er fast ebenso reich wie der Earl of Northcliffe. Zweifellos wird er zu einer Regelung mit seinem Cousin kommen; das wenigstens versicherte er mir in seinem Brief. Ich nehme an, seine Schuldgefühle müssen groß sein -viel größer als deine, Alex! Denn hat er nicht seinen Vetter betrogen und ihm die Frau, die der Graf für sich wählte, weggenommen? O ja, er verachtet sich für das, was er getan hat, jetzt, nachdem er es getan hat und es kein Zurück gibt. Gewissensbisse, so habe ich festgestellt, sind stärker, nachdem die Tat begangen und nicht mehr rückgängig zu machen ist. Aber unabhängig von dieser Verfehlung, diesem recht unglückseligen Verhalten, scheint mir der Viscount ein ehrenhafter Mann zu sein. Er hat vor, Melissande recht bald zurückzubringen. Sie, die Range, wird uns sicher nicht sehen wollen, da sie ihre Mutter in Verlegenheit gebracht hat und sie eine große Auseinandersetzung fürchtet. Doch ihr Mann wird sie zwingen, hierherzukommen.« Der Herzog sah lächelnd in die Ferne. »Tony Parrish ist kein Mann, den eine Frau um den Finger wickelt. Selbst wenn die Frau so schön ist, daß ihr Anblick einem den Atem verschlägt. Er wird sie zurückbringen, egal ob sie fleht oder unter Tränen jammert und stöhnt.«
»Ich habe es geahnt, Papa, wirklich.« Nun war es heraus. Sie stand da, beschämt und unglücklich, auf eine elterliche Strafpredigt wartend.
Der Herzog nahm die Hand seiner Tochter und hob sie an seine Lippen. »Mir mißfällt nur die unnötige Aufregung, die diese unverantwortliche Tat ausgelöst hat. Es entspricht nicht dem Wunsch eines Vaters, eines seiner Kinder im fernen Schottland heiraten zu sehen. Insbesondere die Tochter eines Herzogs sollte nicht mit einem solchen Mangel an Anstand handeln.« Der Herzog hielt mit bewegter Stimme inne. Völlig unvermittelt fragte er Alexandra: »Du willst den Grafen so sehr?«
»Das hast du auch gewußt? Oh, es ist abscheulich. Ich bin also durchschaubar wie ein Fischteich.«
»Du bist meine Tochter. Ich kenne dich, und ich liebe dich.«
»Es ist wahr. Ich habe ihn geliebt, Papa, drei Jahre lang. Aber jetzt... jetzt will ich ihn nicht einmal mehr als Schwager.«
Sie sah zu ihrem Vater auf, Elend und Schmerz in ihren schönen Augen.
Der Herzog sagte übergangslos: »Ich habe soeben einen Brief von deinem Bruder erhalten. Ich will offen sein, Alex. Selbst die Schenkungen, die Tony zweifellos machen wird, werden diese Familie nicht retten. Dein Bruder hat
Weitere Kostenlose Bücher