Die Sherbrooke Braut
verletzter männlicher Stolz? Seine Arroganz, daß niemand ohne die Einwilligung Seiner hochwohlgeborenen Lordschaft zu handeln hatte?
Alexandra schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht über seine Beweggründe nachgrübeln. Schon wahr, sie hätte nicht fortlaufen sollen, eine Frau alleine war Freiwild für jeden Schurken auf den englischen Landstraßen. Aber dumm war sie nicht. Sie hatte vor, während der drei Tage, die es dauerte, bis sie zu Hause war, nur nachts zu reiten und sich tagsüber zu verstecken. Sie würde sehr vorsichtig sein. Vielleicht ritt Douglas aus dem Grund hinter ihr her, weil Männer den Versuch einer Frau, etwas alleine zu tun, niemals würdigen konnten. Sicher sah er sie unbekümmert zwischen Dieben und Räubern reiten und hielt sie für leichtsinnig und gedankenlos. Sicher dachte er, es würde seinem Ruf schaden, stieße seiner Frau etwas zu - immerhin war sie ja noch seine Frau. O ja, wenn seiner flüchtigen Frau etwas passieren würde, dann wäre sein Stolz verletzt, und seine Freunde würden mißbilligend die Brauen heben.
Der Regen fiel plötzlich in dichten, kalten Strömen herab. Es war, als wünsche er ihre ganze Körperwärme und ihre Gedanken fort. Sie rang laut nach Atem. In ihren Plänen hatte sie nicht mit Regen gerechnet. Sie hatte nicht einmal an die Möglichkeit gedacht, daß es regnen könnte. Vielleicht hatte Douglas doch recht, vielleicht war sie tatsächlich dumm. -
Alexandra schüttelte den Kopf. Was machte schon das bißchen Regen? Sie war ja nicht aus Zucker, der einfach dahinschmolz. Während ihrer achtzehn Jahre konnte sie sich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem sie krank gewesen war. Ja, sie würde es schaffen, wenn sie nur Douglas entwischen konnte.
Er näherte sich. Sie spürte ihn hinter sich, Garths Hufgetrappel drang an ihr Ohr. Sie drehte sich um und sah ihn, wie er um eine Kurve heranpreschte, gerade als sie selbst um eine unübersichtliche Kurve ritt. Das war ihre Chance, vielleicht ihre einzige. Sie lenkte Fanny geschwind von der Straße ab ins Unterholz zwischen den Ahornbäumen. Sie glitt von Fannys Rücken herunter und hielt die Nüstern des Pferdes zu, so daß sie Garth nicht mit Wiehern begrüßte. Sie wagte nicht zu atmen.
Douglas ritt an ihr vorbei. Er ritt ausdauernd. Er sah großartig aus auf Garths breitem Rücken, stark und selbstbewußt, selbst im prasselnden Regen. Ein Mann, dem man Vertrauen und Bewunderung entgegenbringen konnte. Und sie wäre durchaus bereit gewesen, ihn zu bewundern, wenn sie ihn nicht in diesem Augenblick am liebsten in tausend Stücke gerissen hätte.
Es war ein erhebendes Gefühl, daß sie ihn zum Narren gehalten hatte. Unter dem dichten Blätterwald des Ahorn war der Regen schwächer. Alexandra tätschelte Fannys Nacken.
»Wir schaffen es, mein Mädchen. Ich bin nicht dumm. Ich werde dich nicht zu sehr beanspruchen. Und ich bin selbstbewußt. Zwar habe ich noch nicht allzuviel von der Welt gesehen, doch weiß ich, was ich kann. Wir werden in Sicherheit sein. Die Ställe von Claybourn Hall werden dir gefallen. Sie sind fast leer, und dort gibt es keinen blöden Hengst, der dich belästigt.«
Anmutig schwang sich Alexandra wieder auf Fannys Rücken und hielt sich an ihrer dichten Mähne fest. Sie führte die Stute zurück zur Straße. Nun mußte sie aufpassen. Es war gut mög-lich, daß Douglas zurückkehrte, das hieße, sie würde dann direkt auf ihn zureiten. Sie hielt sich am Straßenrand, um jeder Zeit das Pferd zwischen die Bäume zu lenken.
Der Regen fiel unbarmherzig herab und wurde von Minute zu Minute kälter.
Alexandra verlangsamte ihr Tempo. Sie spürte, daß Fanny müde wurde.
Beinahe hätte sie ihn übersehen.
Kapitel 10
Er tauchte zwischen den Bäumen gleich einem düsteren Schatten auf und brüllte wie ein Wahnsinniger. Garth bäumte sich auf. Douglas saß finster und dräuend auf dem Rücken des Pferdes. In wenigen Augenblicken hatte er den Hengst in seiner Gewalt, zerrte ihn zur Seite und blockierte die Straße.
Er lächelte sie dämonisch an. »Jetzt habe ich Sie«, tönte er. Befriedigung und rasender Zorn vermischte sich in seiner Stimme.
Alexandra brachte Fanny zum Stillstand. Ungerührt blieb sie auf der Stute sitzen und blickte ihn unverwandt an. »Ich habe es versucht«, erklärte sie ruhig. »Ich habe es wirklich versucht. Doch ich konnte mich nicht länger versteckt zwischen den Bäumen halten, während ich von Minute zu Minute immer mehr fror. Ich habe gelauscht, ob Sie kommen,
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