Die Shopping-Prinzessinnen
ihre Zeitung versunken. Nicht dass sie Französisch lesen konnte oder so etwas, aber irgendwie schnappte sie doch immer was auf. Während sie ihre Zeitung hatte, hatte ich mein Power-Book. Ich hatte gerade meinen Video-Blog mit Accessoires auf den neuesten Stand gebracht (ja, ich bin für alles Neue zu haben, und ja, der Star in meinem Blog ist niemand anderes als moi!), als Evie plötzlich sagte: »He, hör mal: Gefälschte Taschen überschwemmen Paris .«
»Ja, und?«
»Du wirst es kaum glauben, das ist hier ein schweres Verbrechen.«
»Evie, das ist ja unglaublich spannend, doch ich habe gerade anderes zu tun.«
»Oh, tut mir leid.« Sie klappte ihre Zeitung zusammen und winkte einem Kellner, der aber blicklos an uns vorbeiging, als existierten wir gar nicht.
»Hast du das gesehen? Der ignoriert uns vollkommen.«
Nun ja, Trendalarm: Die Franzosen ignorieren dich einfach, wenn du nicht chic genug bist.
»Macht nichts. So kann ich schon mal für den
Rückflug üben«, sagte ich und dachte an mein Debakel bei der Air France.
»He, du darfst jetzt nicht aufgeben, Girlie! Es ist erst vorbei, wenn’s vorbei ist. Es wird uns schon noch etwas einfallen. Es fällt uns doch immer was ein, oder nicht?«
»Vielleicht«, meinte ich ohne rechte Überzeugung.
Sie wühlte in ihrer schnuckeligen Handtasche (na, wenigstens für so etwas hatte ich noch ein Auge) und zog eine kleine Büchse mit Fouquet-Karamellen heraus. Also, mir wird von Süßigkeiten vor dem Mittagessen glatt schlecht, und ich fragte mich, ob Evies Neigung zur Jo-Jo-Diät wieder mal durchbrach.
»Was guckst du so?«, fragte Evie und schob sich ein Bonbon in den Mund. »Ich brauche Gehirnnahrung, wenn ich dir helfen soll. Die kleinen grauen Zellen müssen hart arbeiten.«
Sie fing an zu kauen, und nach ein paar Schmatzgeräuschen erklärte sie plötzlich: »Als Erstes musst du dich zusammenreißen! Schau dir mal deine Nägel an! Die erinnern ja mehr an Transsylvanien als an Paris, du bist käsebleich im Gesicht, und dein Haar …«
»Was ist denn an meinem Haar falsch?«
Statt einer Antwort machte sie nur ts, ts und winkte noch einmal dem Kellner. Ich erwartete keine Reaktion mehr von ihm. Nach allem, was ich jetzt wusste, hatte ich ihn offenbar mit meiner fehlenden Maniküre und meinen unausgeschlafenen Haaren verärgert.
Am Nebentisch erhob sich eine lispelnde Großmutterstimme: »Iss noch ein paar von den Kutteln, mein Putzi!«
Ich drehte mich vorsichtig um und entdeckte eine ältere Dame. Meine Augen ruhten wohl etwas zu lange auf ihr, denn sie sah durchaus adrett aus. Aber dann fiel mir etwas Entsetzliches auf: Die Frau und ihr Hund aßen beide vom selben Teller! Igitt! Pfui! Bäh! Würg!
Manche Leute reagieren allergisch auf Bienenstiche, Erdnüsse oder Schalentiere. Ich dagegen leide unter einer schweren Allergie gegen Unappetitlichkeiten und schlechtes Benehmen. Ein anaphylaktischer Schock in der Innenstadt von Paris kam allerdings auch in diesem Fall nicht in Frage. Außerdem war es ja nicht weiter erstaunlich, dass jetzt solche Entgleisungen vorkamen, wo alle schicken Leute aus der Stadt weg waren.
»Du hast ja recht, Putzi«, sagte sie zu ihrem Hund. »Die Kutteln haben mir auch nicht geschmeckt. Aber du musst mal die Schnecken probieren!«
Jetzt musste ich wirklich würgen, und sogar Toy sah ein bisschen blass um die Schnauze aus (dabei hatte er doch französische Vorfahren).
Ein anderer Kellner erschien. Er war semischnuckelig (schlanke Figur und hübsches Gesicht). Allerdings war ich viel zu verstört, um darauf zu achten. In seiner Schürze steckten künstlerisch gefaltete Stoffservietten. (Achtung! Neuer Trend? Wenn Servietten wieder gefaltet werden, heißt das womöglich,
dass auch das Briefeschreiben bald wieder en vogue ist?)
»Oui, Mademoiselle?«, meinte er, nahm Evies Serviette, schlug sie knallend auf und legte sie meiner Freundin dann auf den Schoß. Hielt er sie für ein sabberndes Kleinkind?
Und schon tat er dasselbe bei mir!
»Ich nehme den Hummersalat«, gab Evie ihre Bestellung auf. »Und noch eine hiervon.« Damit hielt sie die leere Flasche hoch, die vor ihr stand. Flower-Power, ihr neues Gesundheitsgetränk. »Macht absolut süchtig.«
»Très bien«, antwortete er, notierte die Bestellung und wandte sich dann an mich. »Et vous, Mademoiselle?«
»Haben Sie Zyankali?«
»Pardon?«
»Kümmern Sie sich gar nicht um sie«, warf Evie ein und wedelte mit ihrer Zeitung. »Sie isst dasselbe wie
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