Die sieben Finger des Todes
Material noch ein wenig an. Dann trat auch er zurück und sagte mit einer bezeichnenden Geste:
»Margaret hat recht! Dieses Gewand war nicht als Totenhemd gedacht! Seht! Der Körper ist damit nicht bekleidet. Es liegt nur lose auf.«
Er hob den Gürtel und reichte in Margaret. Dann faßte er mit beiden Händen nach dem Gewand und legte es ihr auf die ausgestreckten Arme. Dinge von solcher Vollkommenheit waren so kostbar, daß man sie mit allergrößter Sorgfalt behandeln mußte.
Wir alle standen da, von Ehrfurcht ergriffen ob der Schönheit der Gestalt, die nun, bis auf ein Gesichtstuch nackt vor uns lag. Mr. Trelawny beugt sich wieder über sie und hob mit zitternden Händen dieses Leinentuch, das von gleicher Feinheit war wie das Gewand. Als er zurücktrat und die ganze erhabene Schönheit der Königin enthüllt wurde, spürte ich, wie mich Scham erfaßte. Es war unrecht, daß wir dastanden und mit respektlosen Augen diese unbekleidete Schönheit ansahen. Ungehörig war es, nein, es war fast ein Sakrileg! Und doch war das weiße Wunder dieser Gestalt etwas, wovon man träumen konnte. Es sah nicht nach Tod aus. Es war vielmehr eine aus Elfenbein geschaffene Statue des Praxiteles. Keine Spur von dem gräßlichen Zusammenschrumpfen, das der Tod mit sich bringt. Keine Spur von der runzeligen Gespanntheit, die ein Merkmal der meisten Mumien darstellt. Auch nicht die eingesunkene Verkleinerung eines im Sand vertrockneten Körpers, wie ich sie in Museen des öfteren gesehen hatte. Hier waren alle Poren auf wunderbare Weise intakt und erhalten. Das Fleisch war prall und rund wie bei einem lebendigen Menschen. Und die Haut war glatt wie Satin. Die Färbung war außergewöhnlich – wie Elfenbein, neues Elfenbein, bis auf jene Stelle des rechten Armes mit dem zerfetzten blutigen Gelenk und der fehlenden Hand, die mehrere tausend Jahre frei im Sarkophag gelegen hatte.
Einem weiblichen Impuls folgend warf Margaret über den Körper das schöne Gewand, das sie in den Armen gehalten hatte. Ich sah, daß das Mitleid sie übermannt hatte. In ihren Augen blitzte es auf, und ihre Wangen waren gerötet. Nun war nur mehr das Antlitz der Königin zu sehen. Es rief in einem ein bangeres Gefühl hervor als der Leib, denn es wirkte völlig lebendig. Die Lider waren geschlossen, und die langen, gebogenen schwarzen Wimpern überschatteten die Wangen. Die stolz gewölbten Nasenflügel strahlten Haltung aus, die bei einer Lebenden natürlich noch mehr zur Geltung kommen mußte als bei einer Toten. Die vollen roten Lippen ließen, obgleich der Mund nicht geöffnet war, eine Andeutung der weißen Perlenreihe von Zähnen erkennen. Ihr üppiges, rahenschwarz schimmerndes Haar war über der weißen Stirn aufgetürmt, in die ein paar Locken fielen. Die Ähnlichkeit mit Margaret ließ mich staunen, obgleich mich Mr. Corbecks Zitat der Erklärung ihres Vaters darauf vorbereitet hatte. Diese Frau – sie war für mich weder Mumie oder gar Leiche – war das Ebenbild Margarets, wie ich sie kennengelernt hatte. Die Ähnlichkeit wurde durch den juwelenbesetzten Kopfschmuck noch unterstrichen. Es war eine »federngeschmückte Rundscheibe« wie auch Margaret sie getragen hatte. Auch dies ein prächtiges Geschmeide: eine edle Perle von Mondscheinschimmer, umgeben von sieben geschliffenen Mondsteinen.
Mr. Trelawny zeigte sich überwältigt, ja er war dem Zusammenbruch nahe. Als Margaret an seine Seite eilte, um ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten, da hörte ich ihn ganz gebrochen murmeln:
»Als ob du tot hier lägest, mein Kind!«
Nun herrschte Stille. Von draußen hörte ich das Tosen des Windes, der sich zum Sturm gesteigert hatte, und dazu das heftige Wogen der Brandung weit unten. Schließlich brach Mr. Trelawny das Schweigen.
»Später einmal müssen wir versuchen herauszubekommen, wie das Einbalsamieren in diesem Fall vor sich ging. Jedenfalls ganz anders, als die Fälle, die ich kenne. Es fehlt jeder Öffnungsschnitt zum Entfernen der Eingeweide, die offenbar unversehrt im Körper blieben. Dazu kommt, daß ja dem Fleisch die Flüssigkeit entzogen ist. An deren Stelle wurde etwas anderes eingeführt. Es sieht fast so aus, als wäre Wachs oder Stearin mittels eines komplizierten Prozesses in die Adern injiziert worden. Ich frage mich, ob die Möglichkeit besteht, daß man damals schon Paraffin kannte. Immerhin möglich, daß man es auf irgendeine uns unbekannte Weise in die Adern pumpte, wo es erstarrte!«
Margaret, die ein weißes Laken
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