Die sieben Häupter
fortzusetzen hatte. Es war nicht weit zum Repgowschen Herrensitz, der auf einer kleinen Anhöhe lag und im Mondlicht weithin sichtbar war. Während er noch überlegte, wie er sich Zutritt zu dem Gut verschaffen sollte, bemerkte Bernhard eine Bewegung unterhalb des Hauses. Ein Schatten erschien wie von Zauberhand und huschte über die Mauern. Bernhard erinnerte sich an Berthas Worte von der vermeintlichen Hexe, die im Gemäuer des Hauses verschwunden war. Seine Erfahrung hatte ihn allerdings gelehrt, daß hinter beinahe jeder Hexerei ein ganz einfacher Trick verborgen war.
»Wollen doch mal sehen«, knurrte er und lenkte sein Pferd mit einem »Hott!« nach rechts von der Straße auf einen Feldweg.
Der Schatten war inzwischen im nahe gelegenen Wald verschwunden.
12. Kapitel
Kloster Nienburg, April 1223
D u darfst niemals ein Weib sein!« Die Worte klangen ihr wie ein nicht enden wollendes Echo in den Ohren. Die junge Frau, deren Namen sie nicht einmal kannte, hatte das gesagt. »Niemals ein Weib oder ein Kind oder alt oder krank.« Aber Ethlind war ein Weib, und erst ihre Begegnung mit dem Fremden aus Cathay hatte ihr das mit aller Macht offenbart. Und weil dies so war, saß sie nun im Keller des Klosters, gefangen in einem gemauerten Verschlag, auf Gedeih und Verderb dem blinden Abt und dem finsteren Hagatheo ausgeliefert. Sie war eine Mörderin und hatte es sich selbst zuzuschreiben!
Als die beiden Laienbrüder sie ergriffen hatten und ins Gästehaus bringen wollten, hatte sie sich mit Händen und Füßen gewehrt. Sie hatte sich losgerissen und war zum Tor gerannt. Raus aus dem Kloster, fort von der Leiche, weg von allem! Doch die Männer waren schneller gewesen, hatten sie überwältigt und nach kurzer Beratung in den Keller geschafft. Ethlind war es beinahe recht, in einer Zelle eingesperrt zu sein. Immer wieder sah sie den leblosen Körper des Torwächters auf dem Boden des Gästehauses liegen, und selbst der Gedanke, der Schuft habe es nicht anders verdient, verschaffte ihr keine Erleichterung.
Sie hatte nur das Richtige tun wollen, deshalb war sie nach Nienburg gekommen, doch nun würde sie elendig zugrunde gehen, genauso wie der arme Mann, der in der Nachbarzelle zwischen Leben und Tod lag. Ethlind konnte sich selbst nicht erklären, warum sie für den Fremden die Gefühle hegte, diesie nun nicht mehr zu leugnen imstande war. Sie hatten kaum miteinander gesprochen, die meiste Zeit hatte er im Fieber phantasiert, doch in den wenigen wachen Momenten hatte sein dankbarer Blick sie mit Freude erfüllt und ihr Herz höher schlagen lassen. Vielleicht lag es daran, daß sie sich zum erstenmal in ihrem Leben wirklich von jemandem gebraucht sah. Sie war nicht dumm und nutzlos, wie ihr Vater es ihr immer eingeredet hatte. Sie kümmerte sich und wurde dafür mit kleinen Gesten belohnt, einer Berührung der Hand oder einem schmalen Lächeln. Und mit einem Blick, der ihr Innerstes aufgewühlt hatte.
»Matteo«, flüsterte Ethlind. So hatte der Mann sich vorgestellt. Und es machte ihr Freude, den schönen Namen ein ums andere Mal zu wiederholen. Ganz leise, damit niemand es hörte. Weder der Greif, dessen Ohren überall zu sein schienen und selbst durch Mauern und Eichentüren lauschten, noch der slawische Gauner in der hinteren Zelle, dessen Kind vor Angst und Schrecken schluchzte und unentwegt nach der Mutter rief.
Seit vielen Stunden saß sie in diesem düsteren und feuchten Raum, und in der ganzen Zeit hatte niemand mit ihr gesprochen. Die Nacht war gekommen, dann der Morgen. Der junge Mönch, der ihr Brot und Wasser zum Frühstück reichte, tat dies wortlos, und als sie ihn anflehte, sie müsse dringend mit dem Abt sprechen, nickte er und verschwand grußlos. Der Greif jedoch ließ sich nicht blicken. Sein Helfershelfer mit dem schiefen Mund ebensowenig. Die einzigen Laute bestanden aus den dumpfen slawischen Flüchen des Zupan, dem Weinen des kleinen Bolo und dem kaum vernehmbaren Stöhnen Matteos, das Ethlind zugleich weh tat und erfreute. Solange er stöhnte, lebte er.
Sie war gerade eingeschlummert, als eine knarzende Stimme sie weckte.
»He, Mädchen!«
Es war der Zupan. Die Stimme schien von draußen durchs Fenster zu kommen, stammte aber aus der Nachbarzelle. Der kleine Bolo hatte sich nach einer durchwachten Nacht in den Schlaf gejammert, und so nutzte der Alte die Gelegenheit, die neue Gefangene auszuhorchen.
»Was hast du verbrochen?« fragte er.
Ethlind schwieg zunächst und näherte sich dem
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