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Die siebte Gemeinde (German Edition)

Die siebte Gemeinde (German Edition)

Titel: Die siebte Gemeinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Link
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den Hauptweg links und rechts säumten, waren trotz des gestrigen Gewitters von einer leichten Schneeschicht bedeckt. Es schien, als hätten die eisigen Temperaturen der vergangenen Tage die weiße Pracht auf den Ästen regelrecht festgezimmert. Emma versuchte, ihren Blick auf dem Pfad vor sich zu halten. Für die Familiengräber, die mit Statuen im römisch oder griechischen Stil gespickt waren, hatte sie keinen Sinn. Geschweige denn wollte sie der Totenkopffratze in die hohlen Augen schauen, die mit einer Sense in der knochigen Hand eines der Gräber bewachte.
    »Ich mag diesen Ort nicht.«
    »Wie?«
    »Ich mag diesen Ort nicht«, wiederholte Emma. »Ich weiß, dass vom Melaten-Friedhof alle begeistert sind, aber ich mag ihn nicht«. Sie schaute ihn von der Seite an. »Zuviel Tod.«
    »Verstehe«, nickte Elias. »Die machen sogar Führungen hier. Wusstest du das?«
    »Ich weiß, kein Interesse.«
    »Wo müssen wir eigentlich hin?«, fragte Elias.
    »Ich bin mir nicht sicher. Als ich das letzte Mal hier war, hatte ich meine Kollegen dabei. Ich warte noch auf ein Zeichen, woran ich mich erinnern kann. Warte …« Sie stieß ihm in die Seite. »Das da vorne kommt mir bekannt vor. Die Säule mitten auf dem Weg, die mit dem Adler oder was das für ein Vogel ist, und dieses Hausgrab links, was steht da drauf? Sophia Czory? Ja, das ist es, dahinter müssen wir links in den Seitenweg.« Nachdem sie abgebogen waren, fragte Emma: »Was glaubst du, wie wir uns verhalten sollen?«
    »Vor allem sollten wir die Gegend im Blick halten. Victoria macht ein großes Bohei um die Sache. Da wäre es nicht schlecht, wenn wir auf Gestalten achten, die uns beobachten, oder so.«
    »Ich meinte eher, wie wir uns gegenüber Victoria verhalten sollen. Was fragen wir? Womit fangen wir an?«
    »Das ergibt sich. Warten wir einfach ab, wie es läuft.«
    »Da ist sie«, sagte Emma und blieb wie versteinert stehen.
    Elias zog sie sofort am Mantel. »Weitergehen, weitergehen. Tu so, als wärst du nicht nervös.«
    »Leichter gesagt, als getan«, murrte sie und hielt sich mit beiden Händen krampfhaft am Blumengesteck fest.
    Vor einem Grab, auf dem die kürzlich abgelegten Blumenkränze langsam zu welken begannen, stand eine schlanke Frau, die ihnen den Rücken zugedreht hatte, in einem knöchellangen schwarzen Mantel. Am Kopfende des Blumenberges steckte ein einfaches Holzkreuz in der Erde, auf dem ›Patrick Gerdes 1970 – 2008‹ stand. Die Frau schaute mit gesenktem Kopf vor sich auf den Boden. Ihr schwarzes lockiges Haar hatte sie im Nacken zusammengebunden und ihre Hände in den Manteltaschen versteckt. Emma und Elias gingen langsam auf sie zu. Als sie wenige Meter hinter ihr waren, drehte sie sich um. Emma erschrak für einen Moment. Bei der Beerdigung hatte Victoria ihre Augen noch unter einer Sonnenbrille verborgen, doch jetzt schaute Emma in zwei dunkelbraune und von Trauer schwarzgeränderte Augen. Victorias Haut war kreidebleich, ihre Lippen dünn und blass.
    »Oh, Frau Tolmaier-Gerdes?«, sagte Emma so gleichgültig es ihr möglich war. »Das ist aber ein Zufall, dass wir Sie hier treffen.« Sie verzog ihr Gesicht ob des fadenscheinigen Satzes.
    »Ich bin jeden Tag hier, müssen Sie wissen«, antwortete Victoria mit klarer und fester Stimme. »Und Sie sind?«
    Emma zog irritiert die Stirn in Falten. Victoria spielte ein Spiel, und sie spielte es konsequent.
    »Entschuldigen Sie«, reagierte Elias am Schnellsten. »Wir kennen uns nicht. Ich bin Elias Seydel, ein Freund von Emma Kemmerling.« Er deutete auf Emma.
    »Ah, Frau Kemmerling«, lächelte Victoria. »Verzeihen Sie, ich hatte Sie gar nicht erkannt. Sie waren eine Kollegin von Patrick, nicht wahr?«
    »Stimmt«, sagte Emma und schüttelte Victoria die Hand. »Nochmals mein aufrichtiges Beileid.« Sie hob zur Betonung das Gesteck mit der anderen Hand an. »Wir wollten Patrick unsere Aufwartung machen.«
    »Das ist nett«, bedankte sich Victoria und ließ Emmas Hand in Zeitlupe los. Erst jetzt bemerkte Emma, dass sie einen Zettel von ihr in die Hand gedrückt bekommen hatte, gefolgt von einem unauffälligen Kopfschütteln der Witwe. Sofort ließ Emma ihre Hand im Mantel verschwinden.
    Victoria versenkte ihre Hände ebenfalls in den Manteltaschen und drehte sich dem Grab zu. »Wie kommt es, dass Sie mich angerufen haben?«, fragte sie ohne ihre Gesprächspartner anzublicken.
    »Die Kommode«, antworte Elias. »Sie sind für die Stiftung und den Verkauf zuständig gewesen. Wir suchen

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