Die siebte Gemeinde (German Edition)
müsste es sein.« Er rückte ganz nah über das Blatt. »Oh, das hier hat oben einen Strich, dann ist es die Zweihundert.« Er blicke Emma stolz an. »Es handelt sich um die Zahl 1204.« Wie im Rausch versuchte er sich weiter. »Das Wort dahinter kenne ich wieder, es heißt Aprilios. Also der Monat April.« Er räusperte sich. »Zusammengefasst steht an dieser Stelle, nach meiner Deutung: Konstantinopel im April 1204.«
»Ein Datum? Es wurde also im April 1204 verfasst? Ganz schön alt. Nicht schlecht oder etwa nicht?«
Elias entfernte sich vom Tisch und ging mit den Händen in den Hosentaschen vor Emma auf und ab. Er murmelte irgendwelche Zahlen vor sich hin. Emma, die sich zwar wunderte, ließ ihn gewähren. Plötzlich blieb er stehen und sprang mit einem Satz zurück hinter den Tisch. Fassungslos schlug er sich an den Kopf. »Wahnsinn! Oh Mann, das darf doch nicht wahr sein. Konstantinopel im April 1204!«
»Wieso, was ist damit?«, fragte Emma. »Ist Ihnen das Datum etwa geläufig?«
»Na klar. Im April 1204 fand das große Ende, die finale Schlacht des vierten Kreuzzuges statt, direkt in Konstantinopel.«
»Haben Sie das etwa auswendig gelernt, oder wie muss ich mir dieses plötzliche Wissen erklären?«
»Nun ja, wenn man sich um einen Lehrauftrag in Geschichte an diversen Universitäten beworben hat, wie ich vor einiger Zeit, dann sollte man die Abläufe der Kreuzzüge schon parat haben. Da können Sie mich nachts aufwecken und solche Dinge abfragen.«
Emma schaute Elias ungewollt abfällig von oben bis unten an.
Noch bevor sie etwas sagen konnte, ergänzte er grinsend: »Keine Angst, ansonsten bin ich normal. Ich gehe auch abends unter die Leute, trinke mir einen und versinke nicht jede Nacht einsam zwischen staubigen Folianten.«
»Entschuldigung, wenn ich so ausgesehen haben sollte«, grinste Emma. »Ganz so wollte ich es nicht ausdrücken. Ich wundere mich nur über solche Geistesblitze. Ich hätte diesen Geschichtskram schon morgen wieder vergessen.« Sie überlegte kurz. »Ich dachte bisher immer, dass die Kreuzzüge in Jerusalem stattgefunden haben, um das Heilige Land zu befreien.«
»Das stimmt auch, nur der vierte Kreuzzug nicht. Ursprünglich war dieser Kreuzzug mit dem Ziel vom Papst ausgerufen worden, Jerusalem zu befreien. Doch wegen erheblichen Geldmangels der Kreuzfahrer nahmen die Ritter zunächst die Stadt Zara ein, um ihre Kassen aufzufüllen. Später wurde ihnen eine gehörige Summe angeboten, um an Machtspielereien in Byzanz teilzunehmen. Somit halfen die Kreuzritter dem Thronfolger Komnemnos, die Stadt Konstantinopel einzunehmen. Fragen Sie mich jetzt nicht nach dem damaligen Hin und Her, doch belagerten die Kreuzfahrer Konstantinopel fast ein ganzes Jahr. Mehrere Könige wechselten sich in dieser Zeit in Konstantinopel ab, flüchteten oder wurden getötet. Letztlich kam es im April 1204 zu einer finalen Schlacht, die von den Kreuzfahrern gewonnen wurde. Das erste Mal überhaupt, dass Konstantinopel eingenommen werden konnte. Danach plünderten die Ritter tagelang die gesamte Stadt und kehrten mit einer enormen Beute in die Heimat zurück. In Jerusalem sind die Kreuzritter 1204, also im vierten Kreuzzug, niemals angekommen.« Elias tippte bewundernd auf das Dokument. »Wer auch immer das hier geschrieben hat, er war mitten im Gemetzel dieses Kreuzzuges dabei.«
»Glauben Sie, dass es ein Kreuzritter geschrieben hat?«, fragte Emma.
»Hm, irgendwie glaube ich das nicht. Dieses Dokument ist auf Griechisch verfasst. Die Ritter kamen aber größtenteils aus Mitteleuropa. Die Franzosen stellten den Löwenanteil. Man nannte sie auch das Frankenheer. Griechisch war nicht deren Sprache.«
Wie im Bann stand Elias über das Blatt gebeugt. »Es ist nur ungeheuer schwierig zu lesen. Stellenweise ist es verschmiert. Worte sind durchgestrichen, oder nachträglich verändert worden. Sieht nicht so aus, als hätte das jemand in Ruhe in einem stillen Kämmerlein geschrieben. Er hat sich auf jeden Fall keine Hilfslinien gezogen. Sehen Sie das?«
»Und was machen wir jetzt?« Emma wirkte enttäuscht, nicht den Inhalt des Blattes erfahren zu können.
»Ich weiß es auch nicht genau«, antwortete Elias. »Vielleicht sollten wir es meinem alten Professor, Gustav Heinrich, zeigen. Der wird es im Handumdrehen übersetzen können. Er liebt solche Herausforderungen.«
Ebenso wie Elias, stand Emma fasziniert vor dem Arbeitstisch und schaute auf das obskure Blatt.
»Herr Seydel?«, fragte sie mit
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