Die siebte Maske
der alte Harvey. Genau seine Worte! ›Tony, Junge, warum hast du denn nicht den lieben Onkel von der Polizei gerufen?‹ Als wenn da weiter nichts dabei wäre. Als wenn ich einen Orden dafür kriegen würde, daß ich die Bullen hole!«
»Einen Orden vielleicht nicht. Aber jedenfalls auch keine Gefängnisstrafe –«
»Sie!« sagte Jerrick und streckte Mike seinen Zeigefinger entgegen, so daß der Aufseher abermals zusammenzuckte. »Sie«, wiederholte er, »wissen Sie, mit wie vielen Bullen ich in meinem Leben schon zu tun hatte? Mit Hunderten! Mir reicht’s, und eines habe ich dabei gelernt: Je weniger man mit der Polizei in Kontakt kommt, desto besser. Mein einziger Gedanke war: Halte dich raus!«
»Und statt dessen sind Sie erst recht hineingeschlittert.«
»Ich weiß«, grollte Jerrick. »Das war nicht sehr genial von mir, einfach so abzuhauen. Meine Fingerabdrücke an allen Türen – die Reifenspuren von meinem Wagen vor dem Haus – staubige Fußspuren auf dem Teppich. Mann, ich habe ihnen ihren Fall auf dem Tablett präsentiert, was? Nur – damals habe ich an solche Sachen nicht gedacht; ich habe mich ganz einfach verdrückt!«
»Richtung Detroit?«
»Nach Detroit bin ich zwei Tage später gefahren, weil ich dort eine Verabredung hatte. Mit einem hohen Tier in der Konstruktionsabteilung einer großen Firma. Ich wollte arbeiten, verstehen Sie? Das war keine Flucht.«
»Aber an jenem Abend sind Sie geflohen«, sagte Mike. »Und das war ein Fehler, Tony. Vielleicht der größte in Ihrem Leben.«
»Nein«, verbesserte Tony. »Der zweitgrößte. Der größte Fehler war das Geschäft mit Haven.«
»Sie stimmen also Adrienne zu – daß es Selbstmord
war?«
»Ich habe den Abschiedsbrief nicht gesehen. Das kann ich nicht beschwören, Aber wenn Adrienne sagt, es war einer da, dann können Sie’s glauben.«
Mike klopfte mit den Fingern auf die Tischplatte, und dann stellte er die Frage, die er in nächster Zukunft bis zum Überdruß immer wieder stellen mußte.
»Tony, können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, warum Walter Haven unglücklich gewesen sein könnte?«
Tony Jerrick verzog den Mund.
»Mir scheint, Sie spinnen. Der Kerl hatte meine Patente. Angeblich sollte er nächstes Jahr Gouverneur werden. Und er hatte Adrienne. Menschenskind, nennen Sie das unglücklich?«
»Nein«, sagte Mike unglücklich.
Phil Capice sank in Mikes Büro aufs Sofa und streifte die Schuhe ab. Er stellte sie nebeneinander auf den Kaffeetisch und wandte sich mit einer Grimasse an Mike.
»Kannst du’s sehen?«
»Was?«
»Wie es qualmt. Die Dinger müssen förmlich dampfen, nach all den Entfernungen, die ich zurückgelegt habe.«
»Das hast du davon, wenn du dich vordrängst.«
»Ich dränge mich vor?« protestierte Phil. »Hör mal, mein Lieber, ich war bei der Marine. Da habe ich meine Lektion gelernt. Wenn du und Louise mir nicht so zugesetzt hättet, dann täten mir jetzt die Füße nicht weh.«
Mike sagte: »Ich weiß es zu schätzen, Phil. Was du tust.«
»Danke«, brummte Phil und verzog abermals das Gesicht. »Aber was zum Teufel tue ich eigentlich? Das Resultat ist jedenfalls immer gleich Null. Ich habe in dieser Woche mit mindestens fünfzig Personen gesprochen, und keiner von ihnen konnte mir sagen, ob Walter Haven vielleicht einen Grund hatte, unglücklich zu sein.«
»Aber irgend etwas muß es gegeben haben«, sinnierte Mike. »Irgend etwas, was ihn zur Verzweiflung getrieben hat.«
»Und zum Selbstmord?«
»Genau.«
»Und wenn es doch nichts gegeben hat? Wenn sein Leben buchstäblich ein Honiglecken war?«
Mike grinste. »Diesen Ausdruck habe ich auch schon lange nicht mehr gehört.«
»Ich bitte um Verzeihung, ich sollte vielleicht mehr mit der Zeit gehen. Wenn also Walter Havens Leben eine Wucht war, eine Schau, kurzum spitze – warum sollte er sich dann eine Kugel durch den Kopf jagen?«
»Ich weiß es nicht, Phil.«
»Doch, Mike, du weißt es. Ohne Motiv kein Selbstmord. Und das bedeutet, daß Adrienne Haven dir nicht die Wahrheit sagt.«
»Davon muß man mich erst noch überzeugen. Ein Motiv ist manchmal nur mit größter Mühe zu entdecken. Die Leute sind zu kompliziert. Sie teilen ihre geheime Verzweiflung nur selten anderen mit. Ich baue darauf, daß es in Walter Havens Leben einen verschütteten Grund zum Unglücklichsein gegeben hat und daß wir ihn ausgraben können, bevor –«
»Bevor Jerrick seinen Kopf in die Schlinge stecken muß.«
»Ja«, sagte Mike. Er schwenkte
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