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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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rasant.
    Sie hörte nicht, wie der Mann hinter ihr sich laut beschwerte und die Kassiererin etwas zu ihr sagte.
    Die Hand, in der sie den tiefgefrorenen Lammbraten hielt, zitterte. Doch nicht vor Kälte.
    »Was soll das heißen, du bist zu spät gekommen?«
    »Er ist tot.«
    »Tot?«, rief Myriam. »Aber...«
    »Er hat sich erhängt«, vernahm sie Henris resignierte Stimme.
    »Erhängt?«, wiederholte sie laut. »Aber wie ist das möglich? Herrgott, er stand unter Bewachung! Er war im Gefängnis!«
    Myriam hörte entsetzt zu.
    »Mit einem Betttuch?«
    Die Kassiererin hatte aufgehört, die Waren über den Scanner zu ziehen, stattdessen starrte sie Myriam entsetzt an. Nicht nur sie, sondern auch die Menschen hinter ihr in der Schlange. Der ganze Supermarkt schien in eine Starre zu verfallen, die ihre eigene war. Nur der Mann mit dem Bier blieb ungerührt, da sich sein Blick an einem Pornoheft in der Zeitschriftenwand festgehakt hatte.
    All dies nahm Myriam innerhalb weniger Sekunden wahr. Sie musste hier raus. Ihr Blick fiel auf die Einkäufe, die noch im Wagen lagen.
    »Kann ich einfach bezahlen, was Sie schon abgerechnet haben?«, fragte sie die Kassiererin. »Ich muss dringend weg.«
    Die Frau nickte. »Fünfundsechzig Euro und zehn Cent. Aber Sie brauchen mehrere Tüten.«
    Die Kassiererin half ihr die Sachen verstauen.
    »Kann ich den Wagen...?«
    »Lassen Sie ihn einfach stehen.«
    Die Kunden hinter ihr warteten geduldig. Die ganze Atmosphäre war unwirklich. Nur der Mann mit der Kiste Bier drängte sich rücksichtslos nach vorne und fragte ungeduldig, wann es endlich weiterging.
    Milan Hus hatte sich erhängt. Sie konnte es nicht glauben.
    Myriam schob den Geldbeutel in ihre Tasche. Dann eilte sie zum Ausgang.

Frankfurt am Main
    Samstag, 19. Mai

28
    Die Krisensitzung fand am nächsten Morgen, Samstag, acht Uhr, im Gericht statt. Ron, Henri und zu Myriams Leidwesen Kevin Wagner warteten bereits vor der Tür auf sie. Letzterer kaute laut schmatzend auf einem Kaugummi herum. Myriams Nerven, feine empfindliche Fäden, von denen ihre Stabilität abhing, lagen blank. Nachdem sie die Nachricht von dem Selbstmord des Professors erhalten hatte, war sie völlig panisch zum Gefängnis gefahren, unfähig, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Immer wieder war sie in Gedanken das Gespräch mit Milan Hus durchgegangen, hatte erneut nach Untertönen, Feinheiten, Nuancen gesucht. Hatte sie etwas überhört, war ihr etwas entgangen? Hatte sie seine Worte, sein Verhalten falsch gedeutet?
    Sie wollen ein Geständnis? Hier haben Sie es. Ich bin schuldig.
    Aber warum? Warum war er schuldig? Hatte er Helena Baarova zu Tode gepeitscht? Justin Brandenburg verhungern lassen? Hatte er sich deshalb umgebracht? Weil sie ihn festgenommen hatten? War er doch der Täter?
    Ron suchte nach einem Sitzplatz und ließ sich schließlich auf den einzigen freien Stuhl vor Myriams Schreibtisch fallen.
    »Besorgen Sie noch zwei Stühle«, befahl er Wagner, der kurz zögerte, um dann den Raum zu verlassen.
    »Warum habt ihr ihn mitgebracht?«, flüsterte Myriam. »Ich kann sein Gesicht im Moment nicht ertragen.«
    »Er weiß über die konkreten Ermittlungen Bescheid«, erwiderte Ron, »während du und Henri langsam ins Reich der Literatur abdriftet.«
    »Halt die Klappe, Ron«, ließ sich Henri vom Fenster aus vernehmen.
    Er starrt einfach hinaus, dachte Myriam, als ginge ihn das Ganze nichts an. Und schweigt! Gestern Abend, als sie sich im Gefängnis getroffen hatten, war beim Anblick des toten Milan Hus die alte Vertrautheit zwischen ihnen aufgeflammt. Seine Distanziertheit empfand sie daher heute umso heftiger.
    »Du hast ihm also bei deinem Gespräch im Gefängnis von Helena Baarovas Vermutung erzählt, er sei ihr Vater. Wie hat er reagiert?« Rons Frage klang in ihren Ohren wie ein Vorwurf.
    Sie gab keine Antwort.
    »Sie hat monatelang in seinem Haus gelebt? Warum hat sie es ihm nicht früher erzählt?«, hakte Ron nach. »Warum erst nach fast einem Jahr?«
    »Sie wollte es, aber dann hat er versucht, sie zu überreden, mit ihm …«
    »Ins Bett zu gehen?«
    »Ja.«
    »Er war offenbar ein Nymphomane«, murmelte Ron.
    »Das Wort gibt es nicht für Männer«, warf Henri ein.
    »Egal, sein Verschleiß an Liebhabern, männlich oder weiblich, war jedenfalls beträchtlich. Sobald er sie das erste Mal angemacht hat, hätte sie es ihm schon an den Kopf werfen sollen.«
    »Jess hat es mir erklärt …«, begann Myriam, um eine Darstellung bemüht, die

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