Die Silberdistel (German Edition)
auf den Boden schaute.
Cornelius sah aus, als habe eine böse Macht ihm den Boden unter den Füßen weggerissen und drohte, ihn in den Abgrund zu zerren. Seine Gefühle für Marga und das Erlebnis im Wald hatte er in seinem Kopf so weit nach hinten gedrängt, daß ihm beides mittlerweile unwirklich vorkam. Hatte er wirklich mit seiner Schwägerin gelegen? Oder war dieswomöglich nur Wunschdenken? In der dunkelsten Ecke seines Kopfes, wo alles unscharf und verschwommen war, waren solche Erinnerungen gut aufgehoben, weder schmerzten sie dort, noch bereiteten sie ihm ein schlechtes Gewissen. Nur sehr zögerlich begann er zu begreifen, worauf Lene hinauswollte.
Jergs Blick blieb auf Lene gerichtet. Die Hände zu Fäusten geballt, zwang er sich, tief durchzuatmen. Kleine Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
»Ich frag aber dich.«
Als ob sein Leben davon abhängen würde, fixierte er Cornelius’ Weib. Schon nach Lenes ersten Worten hatte er gewußt, was auf ihn zukommen würde. Ihm war, als hätte sie ihm wie einem Gaul die Scheuklappen abgenommen. Von einem Moment auf den anderen sah er mit tödlicher Klarheit die Wahrheit. Wie ein eisiger Wind wehte sie ihm ins schutzlose Gesicht. Seine Gedanken erstarrten zu eisigen Figuren, seine Regungen wurden gelähmt wie nach stundenlanger Kälte. Nur sein Haß auf Lene flackerte heiß und gefährlich, und nur dieses Gefühl ließ er zu. Hätte er sich auch nur für einen Augenblick ablenken lassen von diesem Haß, hätte er nur einen Blick in Margas schuldbewußtes Gesicht geworfen oder Cornelius’ verwirrtes Schweigen bedacht – er wäre zu allem fähig gewesen.
Hilfesuchend blickte Lene zu dem Mann, den sie gerade des Ehebruchs bezichtigt hatte. Doch dieser starrte auf Marga, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Sein Gesicht war voll unausgesprochener Fragen, doch deutete sein zärtlicher Blick Lene an, daß er sie sich selbst beantwortet hatte. Sie schluchzte auf wie ein tödlich verletztes Tier und verlor den letzten Rest Zögerlichkeit. Wie von Sinnen schoß sie in die Höhe.
»Du willst wissen, was ich meine? Du, der Held von Taben?« Sie verzog den Mund. »Ihr Männer wollt so klug sein, und dabei hat sie euch beide zum Narren gehalten! Hahaha!«Völlig von Sinnen stieß sie ihr schrilles Lachen aus. »Dein Weib hat’s mit deinem Bruder getrieben, Gott weiß wie oft, und du ziehst nun seinen Bastard auf!«
Danach brach das Gewitter in seiner ganzen Stärke los. Wie bei seinen gewalttätigen Vorbildern in der Natur begann auch dieses mit einer schaurig-stillen Ruhe vor dem Sturm. Die Kinder waren die ersten, welche die kommende Gefahr erahnten. Zitternd vor Angst krochen sie unter den Tisch, während die Erwachsenen hilflos abwartend dasaßen. Lene schluchzte leise vor sich hin, ihr Kopf nickte gleichmäßig auf und ab. Weder von Marga noch von Cornelius war etwas zu hören.
Plötzlich krümmte sich Jerg mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. In seinen Ohren rauschte es heftiger als der lauteste Wasserfall. Er erfuhr körperliche Schmerzen, gewalttätige, plötzliche Schmerzen – so bösartig, als hätte er sich sein Bein gebrochen oder den Ellbogen auf einer harten, spitzen Oberfläche zerschlagen. Mit allem wäre er fertiggeworden, jede andere Prüfung hätte er mit Mut und Stärke bestanden. Hätte sein Weib ihm gestanden, das Kind gewaltsam von einem Wegelagerer empfangen zu haben – er hätte sie getröstet. Hätte Cornelius ihn ohne einen Heller in der Tasche vom Hof gejagt – er hätte es überlebt. Aber Cornelius und Marga? Daß er sich während seiner Verbannung selbst die Zeit mit verschiedenen Weibsbildern vertrieben hatte, verdrängte er heftig. Schließlich tat dies nichts zur Sache.
Er begann, zwischen dem lauten Tosen in seinen Ohren einzelne Worte zu hören. »… verraten …« und »… belogen …«, dann wurden die Worte deutlicher. Kleine, giftspuckende Teufel wechselten sich in einem endlosen Singsang ab. Mit einem Sprung war er bei Lene und begann sie wild zu schütteln. Mit beiden Händen packte er sie an den Schultern, ihr Kopf schleuderte hin und her wie der einer Strohpuppe, aus ihrer Kehle kam ein gurgelndes Geräusch.
Mit verzweifelter Kraft versuchte Marga, Jerg von Leneabzubringen. Heulend hing sie an seinem rechten Arm, flehte ihn an, er möge sie loslassen. Doch Jerg hörte weder ihre Unschuldsbeteuerungen noch ihre flehentlichen Bitten, auch ihr Zerren nahm er nicht wahr. Langsam drehte er sich um, sah sie an, als
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