Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
München verlassen hatte, holte ich sein Buch hervor. Bisher hatte ich es einfach nicht lesen können; jedes Mal, wenn ich es versucht hatte, war mir der Text vor lauter Tränen vor den Augen verschwommen. Jetzt endlich konnte ich den Band aufschlagen und durchblättern, ohne zu weinen.
Die Titelvignette enthielt die schönsten farbigen Pittoresken, und auch in den Text waren viele verschiedene Abbildungen eingestreut, in denen Kranke nach den verschiedenen Stadien ihres Leidens dargestellt waren. Hier stand ein Arzt am Bett eines Siechen und fühlte demselben den Puls, da flößte er einer Frau Arznei ein, dort schloss er einem Sterbenden mit einem frommen Spruch die Augen. Alle Bilder waren in so feiner, meisterlicher Ausführung, als seien sie mit dem Grabstichel angefertigt. Vermutlich hatte Onkel Jehuda dafür einen Buchmaler bezahlt. Nur ein einziges Bild stammte von seiner Hand: Auf der letzten beschriebenen Seite hatte er ein Lassmännlein gezeichnet und die Stellen markiert, an denen ein Aderlass besonders günstig war. Danach waren alle Seiten unbeschrieben – es war ihm nicht vergönnt gewesen, sein Buch zu vollenden. Wieder schossen mir die Tränen in die Augen, und mir fiel ein Grabspruch für einen jüdischen Arzt ein, den ich als Kind auf dem Kölner Friedhof gesehen hatte: »Es haben gesiegt die Engel und Platz eingeräumt dem Reinen und Lautern, der hier unten ruht. Er war ein Arzt für Körper und Gemüt, seiner Kunst stand die Lehre Gottes zur Seite.« Ich schwor mir, meinem Onkel irgendwann einen Stein mit einem ähnlichen Spruch setzen zu lassen, auf dass die Erinnerung an ihn unter den Lebenden wach bliebe. Und ich schwor mir auch, so bald wie möglich in seine Fußstapfen zu treten und ihm als Ärztin Ehre zu machen.
Aus »Des sorgsamen Artztes heyl bringender
Rosengartten«, geschrieben von Jehuda Mendel
Bey Eckel vor dem Essen:
Bey Eckel vor dem Essen kann es seyn, daß üble Säfte in den Eingeweyden und der Miltz überhandt genomen haben. Dagegen helffen Pfeffer und Galgant, im Mörßer gestossen und vor jedem Mahl geben in warmem Wein.
Gegen Verstopfungk in Magen und Bauch:
Nimm Ingber und stoß ihn schön feyn. Dann mach aus dem Pulffer mit Dinckelmehl, Wasser und Ei einen guthen Brey, und back den alß Tortelli. Und gibs dann hin drey Mal am Tagk.
Bey Kolick:
Bey Kolick hülffet ein Tranck aus Ingber, Zimmet, Pfeffer und Honigwein. Gib einen Fingerhuth voll alle hundert Atemzüg, biß die Windt abgangen sind. Dieß kann man auch eym Pferdt geben, aber nit mehr denn ein Stübchen voll jedes Mal.
Für krancke Eingeweyde:
Hier nimb Nelcken ein gantz Handvoll und tu sie in ein Seidlein Weins. Laß zwey Monath im Duncklen ziehn, dan seyhs ab. Und trincks jeden Morgen und Abendt.
Diß hülfet auch bei Kopfschmertz, mindert die Geschwülst und die Wassersucht.
Bey Halß Schmertzen
So ein Mensch an Drüsen am Halß Schmertzen hat, sodaß die Halß Adern auffgebläht sind, dann nehm er Liebstöckel und etwas mehr Gundelreb, und er koch das gleichzeittig in Wasser. Nach Ausgiessen des Waßers leg er das warm umb den Halß, und er wirdt geheilt werden.
Dieß hülfet auch gegen Schmertzen in der Brußt, wenn sich der Husten auff die Brust gelegt hat. Nur daß man dartzu vorher noch Fenchel thun soll und alles in Wein kochen. Den Wein soll man warm nach dem Essen trincken, es wirdt beßer.
Gegen Heiserkeyt
Hier hülfet Süß Holtz, denn es ist von gemässigter Wärme und bereitet eine klare Stimme, auf weliche Weis es auch immer gessen wird. Es macht auch den Sinn mildt, erhellet die Augen und erweicht den Magen zur Verdauungk. Aber auch dem Wirren im Geist hilfet es sehr, dieweiln es die Wuth im Gehirn auslöschet.
Aber vergiß nit: Gott ist immer noch der erste Artzt!
Burg Drachenfels, Juli 1414
Die Burg lag hoch über dem Rhein auf der Kuppe des Berges, den die Leute Drachenfels nannten. Zum Rhein hin fiel der Hang steil ab, und schon von Weitem war zu erkennen, dass sich ein Steinbruch bis nahe an die Ummauerung in den Fels gefressen hatte – seit über zweihundert Jahren brach man hier den Trachyt, aus dem der Kölner Dom erbaut wurde.
Langsam näherten sich die Fahrenden von Norden her der alten Festung. Ein Adelssitz verhieß immer guten Verdienst, da lohnte es sich, für ein, zwei Tage zu bleiben. Ezzo trabte auf seinem Schimmel ein Stück voraus und betrachtete die Mauern und den dreistöckigen Bergfried mit gemischten Gefühlen. Jedes Mal, seit er zu den Fahrenden gestoßen
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