Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Die Sache war ihm gar nicht so zuwider, wenn er es genau betrachtete. Er war zwar nicht besonders fromm, hatte aber dennoch öfter über Jan Hus’ Lehre nachgedacht – sie war ja lange genug Stadtgespräch gewesen. Und er war immer der Meinung gewesen, dass dieser Hus gar nicht so unrecht hatte mit dem, was er forderte. Wenn er also nun dabei helfen sollte, dass die Lehre des Böhmen überlebte, nun, dann ging das nicht gegen sein Gewissen. Und danach, sagte er sich, danach würde er frei sein. Frei, das zu tun, was er sich wegen seines Treueschwurs bisher versagt hatte: Sein Erbe, sein eigen Hab und Gut wiederzuerlangen. Das, was ihm zustand: Riedern.
Botschaft der Barbara von Cilli an Ezzo
vom 15. Juli 1415
Unsern Gruß zuvor dem Ritter von Ridern. Wir geben Euch Nachrichtt, daß die Schrifthen allsamt bewahret sind in der Cellen, die der Huß bewohnet hat im Kloßter der Franciskanerbrüeder. Diese lieget zwey Treppen hoch neben der clain Capelln, die zur Stadtmauer hinauß gehet. Vor der Thür stehn zwey Wachen.
Die Schriften söllt Ihr bringen nach Prag und Ihr söllt sie geben nit wo anders hin denn in die Händ des edelen Johan von Trocnow, genant Zizka der Einäugige.
Vernichthet dißen Zettel.
B.
am Tag Divisio apostolorum ao.15
Konstanz, Mitte Juli 1415
Es war zum Glück eine mondhelle Nacht; am Himmel standen kaum Wolken. Ein laues Lüftchen hatte sich erhoben, das angenehme Kühle in die heiße Stadt brachte. Motten und Falter umflatterten die Feuerpfannen, die an manchen Straßenecken brannten, und im Stadtgraben jagten lautlos die Fledermäuse.
Das Zwölf-Uhr-Läuten war längst verklungen, als zwei dunkle Gestalten an der Außenmauer des Franziskanerklosters entlangschlichen. Eine davon war groß und kräftig, die andere klein und schmal.
»Hier ist es!«, flüsterte Ezzo und blieb stehen. Über ihm lagen im Erdgeschoss die vergitterten Fenster der Klosterküche, genau darüber die Spitzbogenfenster des Kapitelsaals. Und wiederum darüber eine ganze Reihe von winzigen viereckigen Öffnungen, eher Luft- und Lichtlöcher denn Fenster. Dahinter befanden sich die Zellen der Mönche.
Ezzo hatte sich tagelang den Kopf zerbrochen, wie er in die Kammer hineingelangen konnte, die der Böhme bewohnt hatte. Er hatte sich, als Knecht verkleidet und mit einem Korb voller Krautköpfe auf dem Rücken, Zugang zum Kloster verschafft, hatte Treppenhaus und zweiten Stock ausgekundschaftet. Tatsächlich standen vor der Zelle mit Jan Hus’ Sachen bewaffnete Wachsoldaten des Königs. Im Gespräch mit einem Küchenjungen hatte Ezzo erfahren, dass sie auch nachts dort postiert waren. Außerdem hatte man die Zellentür mit einem schweren Schloss gesichert, dessen Schlüssel am Gürtelring des Abts hing. Es war eine fast unlösbare Aufgabe: Er musste sich ins Gebäude einschleichen, den Schlüssel entwenden, die Wachen unschädlich machen, die Schriften holen und damit wieder unentdeckt entkommen. Und anders als bei der Befreiung des Papstes hatte er diesmal keine Hilfe, keine Unterstützung durch mächtige Verbündete. Er war ganz auf sich allein gestellt. Lange überlegte er hin und her, besah sich das Kloster von allen Seiten, tüftelte Pläne aus und verwarf sie wieder. Dazu kam, dass er nur noch wenig Zeit hatte, denn Barbara von Cilli hatte ihn wissen lassen, dass der König in wenigen Tagen nach Frankreich zu Papst Benedikt abreisen würde. Sie befürchtete, Sigismund würde womöglich die Verbrennung von Hussens Nachlass anordnen, bevor er Konstanz verließ.
Ezzo musste sich also beeilen. Grübelnd hockte er auf der Treppe vor Schwärzels Wagen und sah dem Tierbändiger zu, wie er den zahmen Hirsch geduldig von Zecken und Flöhen befreite. Das mächtige Tier hielt mit gesenktem Geweih ganz still und grunzte hin und wieder tief und genüsslich. Schwärzels Frau Ada fütterte derweil den alten Bären mit einem Stück Honigwabe, und Finus balgte sich mit dem Herzog von Schnuff um einen Lumpen. Mittendrin machte auf einer ausgebreiteten Decke die kleine Meli gewissenhaft ihre Übungen. Und dann kam Ezzo der rettende Einfall. Er ging zu dem Schlangenmädchen hinüber und beobachtete sie eine Weile nachdenklich. »Meinst du, du könntest dich durch ein Fensterchen schlängeln, das ungefähr so groß ist?« Er zeigte mit den Händen ein Quadrat mit der Seitenlänge von gut einer halben Elle an.
Meli überlegte. »Hab ich noch nie gemacht – aber versuchen kann ich’s. Warum?«
Er nahm die Kleine zur Seite und
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