Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Griff des Messers, das er am Gürtel trug. Er zog es heraus und rammte es einfach irgendwo in den massigen Körper seines Gegners. Fast ohne Widerstand glitt die Klinge hinein, und sofort lockerte sich der Würgegriff. Ezzo ließ das Messer los, taumelte von Contz weg und sog gierig, mit einem nicht enden wollenden Atemzug, Luft in die Lungen. Eine Weile blieb er kraftlos in gebückter Haltung stehen, keuchend und japsend. Jeden Augenblick rechnete er damit, dass ihn der Wächter erneut angreifen würde. Doch nichts geschah. Contz war lautlos in die Knie gebrochen, und nun kippte er langsam nach vorn. Ein paar Mal zuckte er noch, dann lag er still. Ezzo wankte hin und stieß ihn mit dem Fuß an. Er rührte sich nicht. Und als Ezzo den massigen Körper umdrehte, sah er den Griff des Messers aus Contzens Brust ragen. Er hatte ihn, ohne es zu wollen, mitten ins Herz getroffen.
Dann wandte er sich dem alten Falkner zu, der reglos am Boden lag. »Leo«, flüsterte er und rüttelte ihn an der Schulter. Etwas Dunkles hatte sich unter dem Kopf des alten Mannes ausgebreitet, und Ezzo tauchte die Fingerspitze hinein. Blut. Leo war mit dem Hinterkopf gegen einen eisernen Fackelring geschlagen. Tränen liefen über Ezzos Wangen, als er seinem Freund sanft die Augen zudrückte. Er kniete sich hin und sprach ein inbrünstiges Gebet.
Dann blickte er sich im Hof um. Offensichtlich hatte keiner etwas von dem nächtlichen Kampf mitbekommen. Nirgendwo war ein Licht zu sehen, niemand kam. Ezzo atmete ein paar Mal tief durch, um ruhig zu werden. Was er jetzt tun musste, fiel ihm schwer. Aber er hatte keine Wahl, es ging um sein Leben. Lautlos weinend zog er sein Messer aus Contzens Herz und drückte es dem toten Leo in die Hand. Wer auch immer morgen früh die beiden Leichen entdecken würde, er würde denken, sie hätten sich gegenseitig umgebracht.
Dann endlich, es war schon weit nach Mitternacht, drehte sich der Schlüssel mit metallischem Kratzen im Schloss und Ezzo stahl sich mit Ross und Falke zum Burgtor hinaus. Eine Wolkenbank schob sich vor den Mond, und es begann, in dicken Flocken zu schneien.
Kurz bevor die drei Flüchtlinge den Waldrand erreichten, drehte sich der Junge noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die Burg, deren Silhouette schwarz und mächtig aufragte und den Bergfried wie einen gereckten Finger in den Nachthimmel stieß. Ezzo war frei und unendlich traurig. Er ahnte nicht, unter welchen Umständen er die Stätte seiner Kindheit einst wiedersehen sollte.
Vor ihm lag ein weiter Weg.
Papst Innozenz III . über die Juden, 1205
»Obgleich die Juden, die aus eigener Schuld dauernder Knechtschaft unterworfen sind, da sie Christus gekreuzigt haben, durch die Frömmigkeit der Christen aufgenommen werden, und obwohl diese die Gemeinschaft mit denen erträgt, welche sogar die Sarazenen, obwohl sie den katholischen Glauben verfolgen, aus ihrem Gebiet vertrieben haben, so bleibt doch das Judentum eine Maus im Ranzen, eine Schlange im Schoß und ein Feuer im Busen … «
Sara
Über meinen Verspruch mit Salo gibt es nicht viel zu erzählen; unsere Väter unterzeichneten eine schriftliche Vereinbarung, das war alles. Ich war glücklich und unglücklich zugleich, denn an diesem Tag sah ich Salo zum letzten Mal. Wir hatten gar keine Zeit mehr füreinander, immer waren Leute um uns herum. Auch als es ans Abschiednehmen ging, waren die Eltern dabei, und wir konnten uns gerade einmal verlegen die Hände reichen. Ich spürte, wie er mir etwas Kleines in die Handfläche drückte und schloss meine Finger fest darum. Hundeelend war mir zumute, als er draußen in der Gasse aufs Pferd stieg; ich kniff die Augen zu, um nicht sehen zu müssen, wie er davonritt. Erst viel später öffnete ich meine Faust: Eine kleine Perle lag darin. Die Tränen schossen mir nur so aus den Augen – er hatte mir einmal vor langer Zeit die Pfänder seines Vaters gezeigt, und ich war hingerissen gewesen von einer schimmernden Perlenkette. Das war also sein Abschiedsgeschenk.
Mir blieb nichts als zu warten. Zur Schule konnte ich nicht mehr gehen, weil ich dem Kinderunterricht entwachsen war, und an den Talmudlektionen für die Studenten des Rabbi durfte ich nicht teilnehmen – sie waren schließlich Vorbereitung auf ein religiöses Amt, das eine Frau nicht ausüben durfte. Also half ich meiner Mutter im Haushalt und tat das, was Töchter eben zu tun hatten: Ich bereitete meinem Vater abends das Lager, zog ihm die Schuhe aus, wenn er nach
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