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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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aufgeheizt. Mit einer Hand nestelte er den Kragen seines Hemds auf und zog ihn auseinander. Dann beugte er sich nach vorn, um das Glas entgegenzunehmen, das ihm sein Gastgeber hinhielt. Doch der hielt mitten in der Bewegung inne.
    »Was hast du da, Jungchen?«
    Ciaran runzelte die Stirn. »Was meint Ihr?«
    »Na, das da!« Der Alte deutete auf Ciarans Hals.
    Ciarans Hand fuhr unwillkürlich hoch und legte sich schützend um das Korallenamulett. Dann zuckte er die Schultern. »Es ist ein Glücksbringer, wie man ihn Kindern umhängt. Der einzige Gegenstand, der mich noch an meine Eltern erinnert.«
    »Du meinst, du hast das noch von damals?« Whistle runzelte die Stirn.
    Ciaran nickte. »Ich trug es, als man mich an der Klosterpforte fand. Ich weiß schon, was Ihr denkt, Sir, aber ich habe es wohl hundert Mal untersucht und nichts gefunden, was uns weiterhelfen könnte. Leider.«
    »Gebt es mir.« Whistle streckte die Hand aus, seine dicken Finger zitterten vor Aufregung.
    Ciaran nestelte den Anhänger los. »Ihr werdet auch nichts daran entdecken können, fürchte ich.«
    Whistle legte das Korallenzweiglein auf seinen Handteller, als ob es ein lebendiger Käfer sei. Er stupste das Ding an, drehte und wendete es. Immer wieder schüttelte er leicht den Kopf, schloss die Augen, machte leichte schmatzende Geräusche mit den Lippen. »Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, murmelte er vor sich hin. »Da war etwas, irgendetwas, nur was? Herrje, mein altes Hirn! Ich hab so was schon mal gesehen, nur wo? Denk nach, Thomas Whistle, denk nach … «
    Ciaran nahm einen Schluck vom Malvasier und seufzte. »Ich hab’s Euch ja gesagt, Sir Thomas. Da verbirgt sich kein Hinweis.«
    Plötzlich riss der Alte die Augen auf. Auf seinem Gesicht breitete sich ein triumphierendes Lächeln der Erkenntnis aus. Langsam schüttelte er den Kopf. »Du begreifst nicht, Jungchen. Das Amulett selbst ist der Hinweis!«
    Mit einer Kraftanstrengung, die ihn laut ächzen ließ, stemmte sich Whistle aus seinem Stuhl hoch. »Danke, mein Herrgott! Du hast schon gewusst, warum du mich so lang am Leben lässt«, frohlockte er und schlug das Kreuzzeichen. »Vermutlich bin ich der Einzige, der dieses Zeichen nach so langer Zeit noch versteht. Auf, Freunde, lasst uns einen kleinen Ausflug machen!«
    Will zögerte. »Sollten wir nicht lieber ohne Euch … ich meine, es wird sicherlich anstrengend … «
    Thomas Whistle warf sich in die schwabbelige Brust. »Ich komme mit! Und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben tue, Söhnchen!«

    Keine Stunde später saß der Alte erwartungsvoll und aufgeregt in einem Reisewagen, dessen Tür man erst hatte aussägen müssen, um ihn hineinzubekommen. Es war das erste Mal seit siebzehn Jahren, dass er das Londoner Haus verließ. Hinter der Kutsche ritten Ciaran, Will und Connla, immer noch völlig verblüfft und unwissend, wohin es denn gehen sollte.
    Der Weg führte über Land. Raureif bedeckte die Wiesen und Felder, und die Räder des Wagens ratterten auf dem gefrorenen Schlamm. Der Alte, fest eingepackt in Felle und Decken, schwieg eisern, bis sie am Abend des dritten Tages Lutterworth erreichten, den Ort, an dem John Wyclif bis zu seinem Tod Priester gewesen war. Sie mieteten sich in einem Wirtshaus ein, wo man sie für reisende Kaufleute hielt, und warteten dort auf den Einbruch der Nacht. Erst als alles schlief, huschten sie durch das stockdunkle Dorf zur Kirche St. Mary’s und betraten, jeder eine Kerze in der Hand, das Hauptschiff durch eine Seitenpforte.
    Ciaran fühlte Beklemmung in sich aufsteigen, während sie an der Wand entlang in Richtung Apsis schlichen. Ein Schauer überlief ihn, nicht nur wegen der eisigen Kälte, sondern weil er das Gefühl hatte, das hier gleich etwas Heiliges, Denkwürdiges geschehen würde. Der Mond schien durch die hohen Kirchenfenster und sandte sein Licht in breiten, milchigweißen Streifen durch das Langschiff. Es war gespenstisch.
    »Jetzt wird sich herausstellen, ob ich recht habe!«, flüsterte Whistle. Wie ein Bär breitbeinig von einem Fuß auf den nächsten tappend, um seine Masse im Gleichgewicht zu halten, näherte er sich dem Eingang zur Sakristei. Die anderen folgten ihm stumm, bis er sein Talglicht hob. »Seht!«
    Ciaran erkannte ein Bild in geschnitztem und vergoldetem Rahmen. Es zeigte eine süße, kindliche Madonna im blauen Mantel, die lächelnd auf einem herrlichen Thron unter dem Sternenhimmel saß. Zu ihren Füßen spielte ein blondlockiges Jesulein ganz

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