Die Silberschmiedin (2. Teil)
Wie schon beim ersten Kirchgang wurden sie von allen Seiten begrüßt. Sogar die Gassenjungen hielten in ihrem Spiel inne und starrten dem Paar nach.
Jenseits des Marktes nach St. Nikolai zu wurde das Gedränge um sie herum dichter. Aus allen Gassen und Straßen strömten die Leipziger zum Gottesdienst herbei. Handwerker trugen ihre Sonntagswämse und trafen sich an den Ecken mit ihren Zunftgenossen. Die Mägde hatten Bänder in ihr Haar geflochten und warfen den Knechten neugierige Blicke zu. Die Patrizierinnen zeigten ihre neuen Kleider, die Scholaren spreizten sich vor den Bürgerstöchtern und machten galante Bemerkungen, sobald sie außer Hörweite der Professoren waren, die mit ernsthaften Gesichtern ihre Frauen zur Kirche führten. Es war ein Treiben wie vor einem Fest. Die Sonne schien und machte die Menschen beschwingt und übermütig. Alles sprach durcheinander. Eva fühlte sich wohl in dem fröhlichen Trubel und sog alles neugierig in sich auf, als der laute Kommentar einer Krämerin an ihr Ohr drang. «Seht, da geht der Ratsherr Mattstedt. Eine Braut hat er sich angelacht. Aus dem Hessischen soll sie sein. Als gäbe es in Leipzig keine guten Bräute. Heißt es nicht, Sachsen sei das Land, auf dem die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen?»
«Was sagt Ihr da, Gevatterin?», quäkte ihre Nachbarin und hielt sich die Hand hinters Ohr.
«Der Mattstedt will heiraten? Das junge Ding etwa, das er so stolz spazieren führt? Wer ist sie eigentlich?»
«Die Tochter einer Pelzhändlerin. Eine Werkstatt hat sie. Silberschmiedin soll sie sein. Meister Faber jedenfalls arbeitet für sie. Sie soll Geld wie Heu haben, erzählt man sich, doch die Waren aus ihrer Werkstatt lassen zu wünschen übrig. In Leipzig hat jedenfalls niemand auf sie gewartet.»
Letzteres war so laut gesprochen, dass sich mehrere Kirchgänger umdrehten. Eva erschrak und blickte zu Mattstedt, der diese Bemerkung glücklicherweise nicht gehört zu haben schien, denn auf seinem Gesicht stand ein Lächeln. Eva wandte sich seitwärts, um die Krämerin näher in Augenschein zu nehmen – und erstarrte. Dahinten, an der Ecke zur Ritterstraße lief eine Frau am Arm eines einfachen Handwerkers, der ihr beim Gehen lüstern auf den Hintern schlug, sodass sie aufkreischte und in schrilles Gelächter ausbrach.
Eva hatte die Frau auf Anhieb erkannt. Es war Susanne. Geht sie statt zur Kirche mit einem Mann?, fragte sich Eva und vergaß auf der Stelle die Bemerkungen über ihre Werkstatt.
«Was ist? Was schaut Ihr so?», Mattstedt hatte ihre Unruhe bemerkt.
«Nichts», erwiderte Eva. «Ich hatte mich getäuscht.» Sie lächelte ihm zu, und wenig später betrat sie an seinem Arm die Kirche St. Nikolai.
Eva wusste, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Die bemalte Frau war Susanne gewesen.
Und auch jetzt, an einem Freitagabend, war Susanne nicht zu Hause. Die Nachtwächter machten bereits ihre Runde, die Gaststuben schlossen, doch Susanne war weder in der Küche noch in ihrer Kammer.
Eva schritt in der Küche ungeduldig auf und ab. Dabei konnte sie nicht umhin, zu bemerken, dass Susanne wirklich etwas von Haushaltsführung verstand. Die Kupferkessel über der gemauerten Feuerstelle erstrahlten in reinem Glanz. Der große Tisch, an dem wochentags gemeinsam mit dem Gesinde die Mahlzeiten eingenommen wurden, war ordentlich mit Sand gescheuert, das kostbare Salzfässchen war weggeräumt worden. Mehrere volle Wassereimer aus Rinderhaut standen neben der Feuerstelle, daneben waren Holzscheite ordentlich aufgerichtet. Der Raum wirkte wohnlich und sauber und ließ nichts zu wünschen übrig.
An Susannes Haushaltsführung gab es nichts zu bemängeln, trotzdem war Eva unzufrieden. Es störte sie über die Maßen, dass Susanne sich in Leipzig amüsierte, so gut sie nur konnte. Susanne tat ja gerade so, als wäre sie eine Jungfer auf Bräutigamschau, ledig aller Sorgen und Pflichten, die über den Haushalt hinausgingen.
Auf einmal hörte sie die Haustüre klappern. Wenige Augenblicke später schlich jemand über die Treppe in die oberen Stockwerke hinauf.
Eva riss die Küchentür auf und leuchtete mit der Öllampe in den Gang – Susanne blieb ertappt stehen.
«Komm in die Küche. Ich muss mit dir reden», sagte Eva streng.
«Ich auch mit dir», erwiderte Susanne und baute sich vor Eva auf.
Eva wollte gerade zu ihrer Litanei ansetzen, als Susanne ihr ins Wort fiel: «Ich gehe. Ich verlasse dich und dein Haus, deine Werkstatt, deine Magd, deine
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