Die Silberschmiedin (2. Teil)
Wochen vorbereitet hatten. In der Mitte stand ein gebratenes Ferkel, drum herum fanden sich Platten mit gekochtem Rindfleisch und gebratenen Hühnern. Kleine Gefäße mit gewürzten Soßen aus Salz, Pfeffer und Kräutern waren über den Tisch verteilt, daneben standen Körbe mit Gersten- und Weizenbroten – die bevorzugte Speise der Reichen.
Vervollständigt wurde der Überfluss durch Schüsseln mit frischem oder eingelegtem Gemüse aus Pastinaken, Pferdebohnen, Rüben und Zwiebeln sowie mit frischem Obst gefüllte Weidenkörbchen. Brezeln, kleine Kuchen aus weißem Mehl und kandierte Nüsse rundeten das Mahl ab.
Zum Trinken gab es Weizen- und Haferbier, das mit Dost und Schlehen gewürzt war. Die Gäste trafen am Nachmittag ein. Angelockt von dem guten Essen, kamen alle bis auf einen: Mattstedt hatte sich wegen dringender Geschäfte entschuldigen lassen.
Die Stimmung war übermütig. Als nach dem Mahl die Musikanten zum Tanz aufspielten, gab es kein Halten mehr.
Regina war die Erste, die von der Tafel aufstand. Sie zog Heinrich von der Bank, verhakte seinen linken Arm mit ihrem und begann sich zu drehen.
«He, Mädchen, nicht so schnell», keuchte Heinrich, lachte aber und wirbelte das Kind herum. Er war gegen die Verlobung gewesen, doch er hatte sie nicht verhindern können. Das Leben war jedoch zu kurz, um sich lange um so etwas zu bekümmern. Heute war der Abend lau, das Bier stark, und die Musik fuhr ihm in die alten Beine. Meister Faber hatte sich Bärbe gegriffen und schwenkte sie herum, ein Feuerknecht hatte die Lechnerin von der Bank gezogen.
David, der eine wunderschöne Rosenblüte in Evas Haar gesteckt hatte, lächelte seiner Braut zu, stand auf und führte sie zum Tanz.
Niemand hatte bemerkt, dass Susanne verschwunden war. Doch plötzlich stand sie hinter Eva und forderte: «Lass mich mit deinem Bräutigam tanzen. Bald hast du ihn ohnehin für dich.»
Da im selben Augenblick die Musik aussetzte, konnte jeder diese Sätze hören.
Es war nichts Unschickliches daran. Auf jeder Verlobung mussten Braut und Bräutigam mit jedermann tanzen. Doch dies hier war anders. Eva drehte sich zu Susanne herum – und erstarrte. Susanne aber warf den Kopf in den Nacken.
«Zieh dieses Kleid sofort aus!», fauchte Eva und stieß Susanne leicht an. «Geh und zieh es aus!»
«Warum?», fragte Susanne laut. «Warum willst du, dass ich mich umziehe?»
Die anderen Gäste unterbrachen ihre Gespräche. Stille herrschte plötzlich, die Fröhlichkeit war verflogen.
«Das Kleid gehört mir!» Eva spuckte die Worte aus. «Die Spange in deinem Haar gehört ebenfalls mir. Der Gürtel, die Kette, die Bänder in deinem Haar – all das gehört mir. Und deine Frisur ist die, die ich trage.»
«Na, und?» Susanne lachte laut und schrill. «Warum darf ich nicht, was du darfst? Glaubst du etwa nicht an das, was du täglich verkündest? Dass jeder sich den eigenen Platz suchen kann?»
Eva begann zu zittern. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Rote Flecke zogen sich über ihren Hals und den Ausschnitt.
«Du hast wahr gesprochen, Susanne», mischte sich endlich David in das Gespräch. Niemanden verwunderte es in diesem Augenblick, dass er sie duzte. «Den eigenen Platz sollst du dir suchen. Du aber tust dies nicht. Du willst Evas Platz einnehmen. Und das steht dir nicht zu.»
Susanne zuckte die Achseln und sah Eva verbittert an. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck wie der Himmel nach einem Gewitter, sie zog einen Schmollmund, streckte den Arm nach David aus und bat mit leiser Stimme: «Tanz mit mir.»
David schüttelte stumm den Kopf, legte Eva einen Arm um die Hüfte und geleitete sie zurück zu ihrem Platz. Noch immer herrschte Schweigen.
«Was glotzt Ihr so?», schrie Susanne plötzlich. Sie stand in der Mitte des Hofes, alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie sah von einem zum anderen.
Dann breitete sie die Arme aus und begann die Stille mit einem Lied zu füllen:
«Es ist ein Schnee gefallen,
und es ist noch nicht Zeit.
Ich wollt zu meinem Liebsten gehen,
der Weg ist mir verschneit.
Mein Haus hat keinen Giebel,
es ist mir worden alt,
zerbrochen sind die Riegel,
Mein Stüblein wird mir kalt.
Ach, Lieb, lass dich erbarmen,
dass ich so elend bin,
nimm mich in deine Arme,
so geht der Winter hin.»
Sie drehte sich dabei im Kreise, die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Die anderen Gäste wendeten die Blicke ab und rutschten auf den Holzbänken hin und her. Heinrich griff nach einem Stück Brot und
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