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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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heißes Bad und zwar sofort, mein Wort drauf. Sie sollten nicht so unklug sein, ihn zu verärgern.«
    »Kochend heiß, sagen Sie? Von mir aus.« Sie nahm den Kissenbezug und verschwand durch einen Perlenvorhang in die Küche, wo der große Kessel stand. Wegen dieses Vorhangs musste sie sich leicht bücken, und dabei bemerkte ich, dass eine Falte ihres Rocks zwischen ihre Hinterbacken gerutscht war und dort festsaß. Sie zupfte den Rock zwar mit einer aparten und, wie ich vermute, unbewussten Handbewegung wieder zurecht, doch ich empfand alles wie ein Geschenk und pfiff ein keckes Liedchen dazu.
    Ich verließ das Hotel und machte mich auf die Suche nach einem Arzt oder Apotheker, konnte aber an nichts anderes denken als an Frauen und die Liebe. Noch niemals war ich länger als eine Nacht mit einer Frau zusammen gewesen, es waren eben immer nur Huren. Und obwohl ich mich immer bemühte, sie freundlich zu behandeln, wusste ich natürlich, dass es falsch war, und fühlte mich anschließend niedergedrückt und noch einsamer als zuvor. Seit etwa einem Jahr ging ich deshalb gar nicht mehr zu Huren. Das war leichter zu ertragen als dieses traurige Schauspiel von menschlicher Nähe. Denn obwohl der Gedanke für einen Mann in meiner Lage ziemlich verwegen war, fragte ich mich oft: Könnte dieser dicke Kerl im Spiegelbild des Schaufensters nicht trotzdem jemanden finden, der ihn liebte? Irgendwann vielleicht? Irgendwann?
    Endlich entdeckte ich eine Apotheke und kaufte ein Fläschchen Morphium. Zurück im Hotel, trampelte die Frau gerade die Treppe herunter. Sie hatte einen Blechkübel unterm Arm, und war an der Seite ganz nass vom Badewasser. Sie blieb kurz stehen, weswegen ich schon meinte, sie wollte mich grüßen. Riss deshalb auch den Hut vom Kopf, um ihr mein verbindlichstes Lächeln zu entbieten – oder was ich dafür hielt. Doch dann sah ich ihre bebende Brust, die schwer atmete. Offenbar wüteten in ihrem Innern gerade bittere und schlimme Gefühle. Als ich sie nach dem Grund fragte, erklärte sie, aber so, dass jeder es hören konnte, dass mein Bruder ein Heide sei, ein Heide, den nicht einmal die heißesten Wasser der Hölle reinwaschen könnten. Was er getan habe, wollte ich wissen, aber sie gab mir keine Antwort, sondern drängte sich stumm an mir vorbei. Von unten hörte ich dann das Klicken des Perlenvorhangs sowie, eine Sekunde später, das Scheppern, mit dem der Kübel in die Ecke flog. Ich ging nicht sofort weiter, sondern horchte auf die zahlreichen Hotelgeräusche, die von allen Seiten kamen. Unsichtbare, knarzende Schritte, quietschende Türen, die auf- und zugingen, gedämpftes Gelächter, Reden, Babygeschrei. Neben der Treppe befand sich ein Kerzenhalter. Ich zündete die Kerze an und stellte das abgebrannte Streichholz aufrecht an dieselbe. Ein Blick nach oben zeigte mir, dass die Tür zu unserem Zimmer nur angelehnt war. Auf einmal hörte ich, wie Charlie mit sich selber sprach. Das heißt, eigentlich sprach er nicht mit sich, sondern mit mir, obwohl ich gar nicht im Zimmer war. Er saß in der Wanne und hielt Selbstgespräche, wie er es schon seit seiner Kindheit tat. Ich schlich näher und lauschte.
    »Dass du es nur weißt, ich bin der Anführer. Ich, nicht du. Du kannst ohne fremde Hilfe nicht mal dein Pferd führen. Außerdem bist du mir zu oft krank. Du ziehst Krankheiten und Sorgen förmlich an. Wenn wir nicht verwandt wären, wäre ich dich schon längst losgeworden. Der Kommodore hat mir ebenfalls dazu geraten. Das habe ich aber abgelehnt, und der Kommodore sah darin ein Zeichen meiner Verlässlichkeit. Wie es scheint, kann ich beim Kommodore derzeit nichts falsch machen. Er sagte: ›Treue wird mit Treue belohnt.‹ Und mir traut er, das steht schon mal fest, Bruderherz. Meinetwegen kannst du jetzt darüber lachen, du lachst ja über alles. Aber ich frage dich: Wer vertraut dir eigentlich? Kennst du irgendjemanden auf der Welt, der dir vertraut?«
    Er tauchte den Kopf unter und schrubbte weiter an sich herum. Ich klopfte beim Eintreten und trat gleichzeitig lächerlich fest mit dem Fuß auf, räusperte mich sogar. »Charlie«, sagte ich, »ich habe dir deine Medizin gebracht« – wobei ich mich um einen möglichst natürlichen Ton bemühte. Ich fürchte allerdings, meine Stimme verriet die Kränkung sehr wohl, die ich durch seine unfreundlichen Worte erlitten hatte. Er selbst beugte sich gerade halb aus der Wanne, und man sah, wie rot er von der Hüfte abwärts war. Als trüge er irgendeine

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