Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Kind.«
»Denn der dreibeinige Hund, der längst tot war, drehte sich mit mir durch die Luft!« Daraufhin klatschte sie einmal in die Hände, drehte sich abrupt um und ließ mich aufs Höchste verwirrt stehen. Ich dachte: Wie sehne ich mich nach einem zuverlässigen Gefährten. Nachdem das Mädchen um die Ecke verschwunden war, besah ich mir noch einmal den Hund. Er lag immer noch platt auf dem Boden, Schaum quoll ihm aus dem Maul, doch seine Brust hob sich nicht mehr, denn er war tot, toter ging’s nicht. Hinter den Gardinen im Haus regte sich etwas, und ich sah zu, dass ich mich aus dem Staub machte, aber bestimmt nicht in die Richtung, in die das Mädchen gegangen war. Ich drehte mich auch kein einziges Mal mehr um, denn es war Zeit, Mayfield fürs Erste Lebewohl zu sagen.
Auf dem Rückweg schaute ich noch einmal bei Mayfield vorbei und sah, dass sowohl er als auch die nackte Frau nicht mehr da waren und der leere Spannrahmen zumindest wieder aufrecht stand. Hinten im Korridor stand eine Hure und drückte ihre Stirn gegen die Tür meines Nachbarzimmers. Ich fragte sie, ob sie Charlie gesehen habe. »Er hat mich soeben hier abgeladen«, sagte sie, deren Gesicht sich, branntweinkrank, grünlich verfärbt hatte. Dann stieß sie auf und hielt sich die geballte Faust vor den Mund. »O Gott«, sagte sie. Ich öffnete meine Tür und sagte ihr, sie könne Charlie ausrichten, er solle sich beeilen. »Das, Sir, werde ich ganz bestimmt nicht tun. Ich will nur noch ins Bett und die nächsten Stunden in Ruhe leiden.« Ich sah ihr nach, während sie den Korridor entlangwankte und sich dabei an der Wand abstützte. Bei Charlie war abgeschlossen. Auf mein Klopfen vernahm ich nur einen kehligen Laut, aus dem ich den Wunsch nach Alleinsein heraushörte. Ich rief seinen Namen, worauf er an die Tür kam, nackt, und mich hereinwinkte.
»Wo bist du gewesen?«, fragte er.
»Spazieren. Mit der Frau von gestern Abend.«
»Welche meinst du?«
»Die hübsche Dünne.«
»War da eine hübsche Dünne?«
»Ja, aber du warst anderweitig beschäftigt. Sieh doch, wie rot dein Gesicht ist.«
Aus dem Herrenzimmer erscholl gedämpft Mayfields Fluchen. Ich berichtete Charlie von dem Fell, das nicht mehr da war, und er war sofort hellwach. »Was soll das heißen, nicht mehr da?«, fragte er.
»Nicht mehr da heißt nicht mehr da. Der Rahmen war umgeworfen, und jemand hat das Fell herausgeschnitten.«
Er dachte kurz nach und zog sich dann schnell an. »Ich muss mit Mr. Mayfield reden«, sagte er, während er ächzend in seine Hose stieg. »Gestern Abend verstanden wir uns ganz gut. Sehr wahrscheinlich war es einer von diesen Dreckstrappern, die für ihn arbeiten.«
Er ging, und ich ließ mich auf einen niedrigen Korbsessel fallen. Jetzt erst fiel mir auf, dass Charlie die Matratze auf den Boden geworfen und mit seinem Messer bearbeitet hatte. Überall lag die herausgerissene Füllung verstreut. Wird sich sein Hang zu sinnlosem Gemetzel eigentlich nie legen? Ich konnte zwar keine einzelnen Worte verstehen, aber hinten im Herrenzimmer stritt er sich jetzt mit Mayfield. Doch da jede Faser meines Körpers vor Müdigkeit brannte, war ich schon halb eingenickt, als Charlie ins Zimmer gestürmt kam, mit Erbitterung im Gesicht und weiß geballten Fäusten. »Große Töne spucken kann er«, sagte er. »Aber das ist auch alles.«
»Glaubt er etwa, wir hätten das Fell gestohlen?«
»Das glaubt er allerdings. Und weißt du auch, warum? Ein Trapper will dich damit im Flur gesehen haben. Ich sagte zu Mayfield, bitteschön, soll er doch unsere Zimmer durchsuchen. Aber das war natürlich unter seiner Würde. Dann hat er seiner Hure etwas ins Ohr geflüstert. Wahrscheinlich soll sie sich bei den Trappern umsehen.« Er ging ans Fenster und blickte auf die Hauptstraße hinunter. »Es stinkt mir wirklich, dass die meinen, sie könnten uns auf diese Art hereinlegen. Wenn mir nicht so verdammt übel wäre, würde ich mir die Kerle jetzt gleich vornehmen.« Er sah mich an. »Was meinst du, Bruderherz, bist du bereit für einen Kampf?«
»Eher nicht so.«
Er kniff die Augen zusammen und sagte: »Was ist das unter deiner Jacke?«
»Ein Geschenk von dem Mädchen.«
»Geht’s zu einer Parade oder was?«
»Nein, es ist nur ein Andenken. Eine Bonbonniere, wie Mutter sagen würde.«
Er biss sich auf die Unterlippe. »Du solltest so etwas nicht tragen«, bestimmte er.
»Aber es ist teures Tuch.«
»Das Mädchen hat dich nur verarscht.«
»Nein, sie meint es
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