Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
genug beobachten können und möchte nicht, dass Ihr grausam misshandelt werdet.«
»Niemand würde mich für eine tapfere Frau halten, Nus-Nus. Ich musste niemals körperliche Schmerzen erleiden. Bis heute hat kein Mensch in meinem ganzen Leben Hand an mich gelegt. Doch in diesen letzten Stunden habe ich entdeckt, dass ich eine Kraft in mir habe, die ich nie erwartet hätte, eine Härte, die sich gleich unter der Oberfläche verbirgt. Manche Leute würden es vielleicht als Starrsinn bezeichnen. Ich weiß nicht, was es ist, und es sieht so aus, als hätte ich keine Kontrolle darüber. Ich habe Angst, dass es mich dazu bringen könnte, mein Leben aufs Spiel zu setzen.«
»Warum wollt Ihr dann nicht diesen gefährlichen Zug lieber in den Griff bekommen, dem Ganzen jetzt gleich ein Ende machen und Euch retten?«
Sie reicht mir das Glas zurück. »Meine Mutter war sehr geübt darin, Leute zu beschwatzen, ihnen zu schmeicheln und sie auf ihre Seite zu bringen. Eure Rede ist sanft, doch Eure Ziele unterscheiden sich nicht von denen Eurer Herren, egal, ob man sie mit Worten oder mit dem Stock vermittelt.«
Ich ändere meine Taktik. »Dann lasst uns über Bekehrung sprechen. Den Wechsel einer Form von Religion zu einer anderen. Wir alle dienen einem Gott. Er ist immer derselbe, ganz gleich, ob wir ihn Deus, Allah oder Yahwe nennen. Er ist derjenige, der unsere Gebet erhört. Was bedeutet es schon, den Namen einer Religion zu verändern, solange sie sich an Gott orientiert und Euer Glaube an ihn in Eurem Herzen verankert bleibt?«
Sie verzieht den Mund zu einem schmalen Strich.
Ich lasse nicht locker. »Wir sind alle nur Menschen, Alys. Ich bin weit herumgekommen und weiß genug, um Euch sagen zu können, dass es ebenso gute Mohammedaner und hinterhältige Christen wie hinterhältige Mohammedaner und gute Christen gibt. Nicht die Form ihrer Religion macht sie so, sondern ihr grundlegendes Wesen.«
»Ich habe viele niederträchtige Christen kennen gelernt, das ist wahr. Und ich wage zu behaupten, dass Freundlichkeit und Mitgefühl auch bei den Menschen hier zu Hause sind. Aber es ist nicht mein Land, und ihre Religion ist nicht die meine.«
»Ich sollte das nicht sagen, denn ich gelte als guter Muselman, aber in meinem Herzen weiß ich, dass Gott einfach Gott ist und alles andere nur Gerede. Worte, Geräusche, mit denen wir kommunizieren.« Da sie ob dieser Ketzerei nicht gleich aufschreit, fahre ich fort: »Plato behauptet, dass die Bezeichnung von Dingen mit Namen vollkommen willkürlich erfolgte, dass jedes x-beliebige Ding auch x-beliebige Namen haben kann, Hauptsache, die Menschen verstehen, was sie bezeichnen, und benutzen eine bestimmte Bezeichnung, um ein bestimmtes Ding zu definieren. Außerdem, so behauptet er, lassen sich bereits existierende Bezeichnungen für Dinge ändern, ohne der Natur des Dings Schaden zuzufügen. Ich frage also noch einmal, Alys: Was bedeutet es, wenn Ihr die erforderlichen Worte wiederholt, den Namen Eurer Religion wechselt und fortan von Allah sprecht?«
»Ist es nicht blanke Heuchelei, nach außen hin etwas zu akzeptieren, innerlich aber etwas ganz anderes zu glauben? Welchen Wert hat ein solcher Konvertit für Eure Religion, wenn er doch nicht wahrhaft an sie glaubt?«
Ich zucke die Achseln. »Es ist eine Menge Heuchelei im Spiel, wenn man von einem Tag zum nächsten überleben will, besonders in dieser Welt. Ich glaube nicht, dass Gott Euch dafür bestrafen würde, dass Ihr angesichts einer solchen Wahl Euer Leben bewahrt.«
»Ich werde mich nicht selbst zur Abtrünnigen machen. So einfach, wie Ihr es darstellt, ist die Sache nicht. Wie kann ich wissentlich jede Wahrheit leugnen, die ich im Hinblick auf die Heiligste Dreifaltigkeit und die Erlösung des Menschen durch Christus gelernt habe? Nur um mein eigenes Überleben zu sichern? Jesus hing drei Tage und Nächte am Kreuz, um unsere Seelen zu retten. Möglich, dass ich nur eine dumme Frau bin, aber ich glaube, eine Bastonade, die mir nicht einmal die Knochen in den Füßen gebrochen hat, reicht als Rechtfertigung für eine Revolte gegen Gott nicht aus.«
Ich seufze. Ich bin umgeben von Menschen, die inbrünstig an einen einzigen Gott glauben, Menschen, die ohne Skrupel jeden, der anders denkt, foltern oder gar ermorden würden. Mein Volk glaubt, dass jeder Baum und jeder See im Wald einen Geist besitzt, dass unsere Vorfahren im Traum zu uns sprechen und selbst göttlich geworden sind. Ich bin kaum der Mann, an den man sich
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