Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
auf, die ich in meinem Herzen finde. »Mein Leben ist nicht schlecht. Ich genieße die kleinen Freuden, die sich mir bieten, allein weil ich am Leben bin. Und davon gibt es viele, selbst hier und selbst in meinem beschränkten Zustand.«
»Das Leben hört nicht auf, vermute ich, der Wille zu überleben. Was sind wir für eigensinnige Wesen, dass wir uns so sehr an das wenige klammern, das uns noch bleibt.« Sie schüttelt nachdenklich den Kopf.
»Ich frage mich, ob die Seele irgendein mystisches Gefäß enthält, in dem sich solche Freuden sammeln wie Wasser in einem Glas. Schließlich weicht die Leere dem Leben, und plötzlich will man doch lieber leben als sterben. Ich musste akzeptieren, dass ich nie ein freier Mann sein werde, heiraten oder Kinder zeugen kann, doch ich esse, ich schlafe und lache, ich denke, beobachte und fühle. Ich bin ich selbst. Ich bin noch da.«
Sie senkt den Blick auf die im Schoß liegenden Hände. »Kinder. Ach ja, da ist er wieder: der schwache Punkt. Und doch wäre ich ein Baum, der keine Frucht trägt, zweimal verdorrt«, sagt sie schließlich leise.
»Das verstehe ich nicht.«
»Im Judasbrief gibt es die Beschreibung eines Abtrünnigen, einer, der spirituell tot ist und mit dem ewigen Feuer bestraft wird. Aber für mich bedeutet es mehr als das.« Sie sieht von ihren ineinander verflochtenen Fingern auf. »Genau das bin ich. Eine jungfräuliche Frau, unberührt und ohne Nachkommen. Dabei habe ich mir immer Kinder gewünscht.«
Irgendetwas schnürt mir die Kehle zu.
»Ich war von den Niederlanden aufgebrochen, um einen Engländer zu heiraten, als ich gefangen genommen wurde. Stellt Euch vor, ich könnte jetzt dort sein, in meinem großen Haus in London, eine vermögende, angesehene Frau, vielleicht sogar nach einem Monat oder etwas mehr nach der Hochzeit schon eine schwangere Frau.«
Ist das die Gelegenheit, mein Anliegen voranzubringen? »Wenn Ihr neues Leben in die Welt setzen wollt, sprecht die shahada , Alys Swann. Man wird Euch freundlich behandeln und Euch schwängern. Der Sultan ist gut zu den Frauen in seinem Harem, ihr Leben ist wirklich nicht schwer. Ihr lauft eher Gefahr, an Langeweile und zu viel Bequemlichkeit zu sterben als an Angst oder Schmerz.«
»Und die Kinder, die aus einer solchen Vereinigung hervorgehen?«
»Sie sind seine Kinder und werden als solche anerkannt. Schenkt ihm einen Sohn, und man wird Euch einen hohen Status verleihen, vielleicht erklärt er Euch sogar zu einer offiziellen Frau.«
»Welch hohe Ehre.« Ihre Stimme klingt spitz. »Und die Kinder bleiben bei ihren Müttern?«
»Kinder werden hier außerordentlich geschätzt. Sie leben so lange im Harem, bis sie ein Alter erreichen, in dem sie in ihren Pflichten unterwiesen werden müssen.« Ich zögere, doch mein Gewissen treibt mich an. »Söhne werden hier außerordentlich geschätzt«, berichtige ich mich. »Ein Sohn sichert seiner Mutter einen hohen Status im Harem, möglicherweise aber auch die Eifersucht und Feindschaft der anderen Frauen dort, und das kann … gefährlich sein.«
Ihre unglaublichen Augen wandern über mein Gesicht, dann senkt sie den Blick und betrachtet ihre Hände, bis ich sicher bin, jede Chance, sie überreden zu können, mit meiner Ehrlichkeit zerstört zu haben. Dummkopf!, beschimpfe ich mich selbst. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, als hätte sie ihre Meinung geändert, doch jetzt hat sich eine schreckliche Reglosigkeit ihrer bemächtigt, die darauf hindeutet, dass sie sich fügt. In ihr Martyrium? Wenn sie in den Tod geht, nimmt sie mich mit. Die Erinnerung an das Gefühl der Seligkeit, als ich heute Nachmittag den Kerker verließ, erfasst mich erneut, überwältigend und spöttisch zugleich. Ben Hadou ist ein Manipulator, wie er im Buche steht, schießt es mir durch den Kopf. Ein Diplomat, ein Stratege, ein Taktiker. Und doch scheint er zu dem Entschluss gekommen zu sein, dass die Aufgabe, diese Frau umzustimmen, ihn überfordern würde, und hat stattdessen mich vorgeschlagen. Ich kann mir seine Argumentation gut vorstellen: »Nus-Nus wird einen besseren Eindruck auf sie machen, Majestät, als Euer bescheidener Diener. So ein großer, schwarzer Mann mit seinem ausgezeichneten Englisch! Einer, der aus dem Urwald kommt, es bis zum Diener an Eurem Hof gebracht hat und ihr obendrein poetische Phrasen ins Ohr säuseln kann! Wie könnte sie dem Wort eines solchen Mannes misstrauen? Vielleicht erzählt er ihr ja sogar seine eigene Geschichte, und wie
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