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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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einundzwanzig, stark und hochgewachsen, doch die Aussicht auf Profit machte sie zu allem entschlossen. Ich sah den Tisch, schwarz vom Blut derjenigen, die vor mir entmannt worden waren, und die grausamen Messer lagen in einer schimmernden Reihe auf dem Tuch daneben. Meine Beine gaben nach, und ich torkelte wie ein Ochse, dem man mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen hat.«
    Ihre aufgerissenen, schockierten Augen ruhen auf mir. Eine Hand fliegt zum Mund.
    »Was danach geschah, nun … vollzog sich in einer Art von Trance. Der Körper kann mit einem solchen Schmerz nicht umgehen, er schickt den Geist woandershin. Wie ein Vogel in seinem Nest im Dachgiebel sah ich auf mich selbst herab, ausgestreckt, blutend, und fühlte nichts. Man hat mir erzählt, dass sie mich in den ersten drei Stunden nach dem Eingriff ständig herumführten, damit das Blut zirkulieren konnte; anschließend begruben sie mich bis zum Hals im Wüstensand, um die Wunde heilen zu lassen. Drei Tage lang bekam ich weder zu essen noch zu trinken. Dafür stülpten sie einen breitkrempigen Hut über mich, zum Schutz vor der Sonne, und bezahlten ein Kind, um Ameisen und Raubvögel zu verscheuchen. Doch gegen die jungen Adligen aus der Stadt, die jeden Tag kamen, um mich zu verspotten, konnte es nichts ausrichten. Am ersten Tag nahm ich sie gar nicht wahr, am zweiten Tag waren ihre Stimmen nicht vom Lärm der Krähen und Geier zu unterscheiden. Doch am dritten Tag erlangte ich mein Bewusstsein zurück und sah, wie sie vor einer Mauer herumlungerten, und die Sonne funkelte auf ihrem Goldschmuck. Sie aßen Datteln und warfen mit den Kernen nach mir. Als ich aufschrie, lachten sie.
    ›Hört nur, wie er brüllt.‹
    ›Wie ein räudiger Löwe!‹
    ›Jedenfalls nicht wie ein Lustknabe.‹
    ›Knabe? Das ist kein Knabe mehr.‹
    Und alle lachten darüber. Ich drohte ihnen mit Tod und Verstümmelung, erst auf Senufo, dann auf Englisch, Italienisch und zum Schluss auf Arabisch, bis einer von ihnen sich vor mich stellte, sein Gewand hob und seine Geschlechtsteile vor mir schwenkte. ›So sieht ein echter Mann aus, du stinkender Schwächling!‹ Er wollte gerade auf mich urinieren, als der Mann, der für meine Kastration bezahlt hatte, herauskam, ihn und seine Begleiter verscheuchte und den Befehl gab, mich wieder auszugraben. Bemerkenswerterweise erholte ich mich. Ich wusste, dass ich genesen würde, denn ich war mir der kostspieligen Zutaten in den Breiumschlägen und Salben bewusst, mit der sie meine Wunde behandelten, und konnte mir ausrechnen, welchen Profit sie von mir erwarteten. Als sie bei Wolfszwiebel angekommen waren, eine sehr teure Heilpflanze, wusste ich, dass ich überleben würde, und zog ein perverses Vergnügen aus den Kosten.«
    Ihre Augen schimmern – vor Tränen? Ich habe mich so von meiner eigenen Erzählung mitreißen lassen, dass ich vergessen habe, auf ihr Gesicht zu achten.
    »Wolltet Ihr nicht sterben?«
    »Doch, das wollte ich. Lange Zeit wollte ich sterben. Ich lag da, erfüllt von Hass, Kummer, Wut und Scham. Erst verleugnete ich Gott, dann wieder betete ich zu ihm. Ich wurde von Alpträumen und Erinnerungen heimgesucht – an mein früheres Leben, an die Verstümmelung. Doch nach und nach kam eine Zeit, in der mir auffiel, dass ich auch wieder andere Dinge wahrnahm als nur mein eigenes Elend. Es war eine kleine Wonne, saubere Baumwolle auf der Haut zu spüren. Die panische Angst vor dem Wasserlassen zu verlieren. Das Flimmern der Sonne zwischen den Binsen, den Gesang der Vögel zu genießen. Den Geschmack von Brot. Das Lachen der Kinder …«
    Jetzt löst sich eine Träne vom Lidrand und rollt langsam über ihre Wange. Ich merke, wie sich meine Hand ganz von selbst ausstreckt, um sie wegzuwischen.
    Sie fährt zurück wie ein erschrecktes Tier.
    »Tut mir leid.«
    »Nein. Ihr habt mich überrascht, das ist alles.« Sie sieht mich aufmerksam an. »Mit Güte hatte ich nicht gerechnet.«
    Güte. Ist es das, was diese Geste vermittelte? Vielleicht, teilweise, aber sie hatte auch etwas Eigennütziges. Denn jetzt spüre ich eine Bindung zu dieser Frau, eine Nähe, ein langsam brennendes Feuer: Irgendwie muss ich sie vor sich selbst retten. Ich muss sie überreden zu konvertieren, damit sie überleben und ich sie hin und wieder in den Gärten des Harems sehen kann, die Sonne auf dem blonden Haar, ihren Blick über den Brunnen hinweg suchen kann, wo Black John seine melancholischen Lieder singt …
    Ich biete alles an Überzeugungskraft

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