Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
zu wissen, dass der Tod hier jeden Tag ein und aus geht.
»Der Sultan bittet Euch zu sich. Er fühlt sich unwohl.«
Sie fragt nicht, was mit ihm los ist; es sieht aus, als wüsste sie es bereits. Während sie ihre Sachen zusammensucht, wandern meine Blicke hin und her, doch von Alys ist nichts zu sehen. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll. Meine Nerven sind angespannt wie die einer Katze, viel zu dicht unter der Oberfläche. Ich weiß nicht einmal, was ich sagen würde, wenn ich sie hier entdeckte. Aber sie ist nicht da, und im nächsten Moment überlege ich voller Angst, ob ihr etwas zugestoßen sein könnte. Von plötzlichem Schrecken gepackt drehe ich mich zu Laila um und erkundige mich nach ihrem Befinden. Sie schenkt mir ein zuckersüßes Lächeln und sagt, es gehe ihr gut, aber sie sei auch »ein bisschen einsam«. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Eunuchen den Haremsdamen hin und wieder Befriedigung verschaffen. Menschen sind sehr phantasievoll in ihrem Streben nach Lust: Finger, Zungen und männliche Geschlechtsteile aus Wachs, Stein oder Gold, selbst entsprechend geformtes Gemüse eignet sich. Wäre der Sultan im Bilde über das, was hier vor seiner Nase geschieht, würde ihn der Schlag treffen, daher liegt es im Interesse aller, derartige Angelegenheiten diskret zu behandeln.
Laila versucht schon seit fast einem Jahr, mich zu verführen. Ich glaube, dass es mehr das Streben nach dem Unerreichbaren ist, das sie erregt, als echte Zuneigung, doch ich lächle nur und sage, das tue mir leid. Dann frage ich nach verschiedenen anderen Lieblingsfrauen im Harem und nach der Gesundheit diverser Kinder, an deren Namen ich mich erinnere, und erst nachdem ich mir pflichtschuldig den Katalog von kleinen Zipperlein und Problemen angehört habe, erkundige ich mich nach Alys, oder der englischen Konvertitin, wie ich sie nenne.
Laila verdreht die Augen. »Sie geht jeder Art von Gesellschaft aus dem Weg. Man könnte glauben, sie sei eine Nonne.«
Während der letzten Piratensaison hatte man Ismail zwei Nonnen gebracht, die sich dem mohammedanischen Glauben und dem Sultan so standhaft verweigerten, dass sie mit einem Lächeln auf den Lippen starben, als hätten sie dadurch ewige Seligkeit erlangt. Zwei irische Mädchen, die zur selben Zeit an den Hof gekommen waren wie Alys, hatten bei der ersten Androhung von Gewalt einen hysterischen Zusammenbruch erlitten, sodass man sie als Sklavinnen in den Palast von Fès verbannt hatte. Fast wünschte ich mir dasselbe Schicksal für den Weißen Schwan, aber wenigstens lebt sie noch. Zeit für weitere Fragen habe ich nicht, denn jetzt kehrt Zidana zurück, passend gekleidet und mit einem Arm voller Fläschchen und undefinierbaren Objekten.
In Ismails Schlafzimmer wird der Grund für seine Krankheit klar. Der entblößte Oberkörper ist mit Bissspuren übersät, die sich deutlich von der Haut abheben. Es sind keine oberflächlichen Kratzer, sondern tiefe, unregelmäßige Wunden mit geschwollenen, entzündeten Rändern. Unwillkürlich empfinde ich Respekt vor dem Berbermädchen: erst das Messer, dann Zähne und Krallen.
»Liebesbeweise?«, fragt Zidana spielerisch, und Ismail grunzt gereizt. »Armes Lämmchen«, gurrt sie. »Hat dich etwa ein kleines Wolfskind so übel zugerichtet?«
Sie haben eine seltsame Beziehung, die beiden: Sie behandelt ihn wie ein Kind, und er begehrt nur selten dagegen auf. Selbst nach all den Jahren verbringen sie hin und wieder eine Nacht miteinander, und während der übrigen Zeit hilft sie ihm, Gespielinnen fürs Bett auszusuchen, oder sucht nach Eigenschaften, die seinen verwöhnten Gaumen kitzeln könnten. Auch das ist eine Form von Macht. Doch vielleicht war die Berberprinzessin eine Spur zu gefährlich.
»Sie ist ein wildes Tier! Eine Barbarin! Ich werde sie eigenhändig erdrosseln!«
»Ruhig, sonst entzünden sich die Wunden noch mehr. Ich werde mich darum kümmern.« Sie macht viel Aufhebens um ihn, murmelt Sprüche und fuchtelt geheimnisvoll mit den Händen. Räucherwerk wird entzündet, um die Luft von allen unreinen Stoffen zu säubern, die möglicherweise noch herumschwirren. Sie flößt ihm Lösungen aus den mitgebrachten Fläschchen ein. Dann wühlt sie mit klappernden Armreifen in ihren Heilpflanzen und flucht. »Nus-Nus?«
»Ja, Erhabene Majestät?«
»Lauf und hol mir die beiden Wolfszwiebelknollen und etwas Beinwell, ach, und den Thymianhonig – du weißt ja, wo du alles findest.«
In Zidanas Geheimkammer
Weitere Kostenlose Bücher