Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
die Luft zittern und uns bis in unsere Träume hinein verfolgen.
Eines Tages kurz nach Sonnenuntergang verlassen wir die Berge. In all den Wochen der Reise sind wir keiner lebenden Seele begegnet bis auf ein paar zerlumpte Hirten, und jetzt stoßen wir auf eine kleine Ansiedlung, die sich in eine Mulde des Tals schmiegt. Rauch steigt von einem offenen Feuer empor, auf dem ein ganzes Schaf geröstet wird. Als wir näher kommen, wirft sich ein älterer Mann mit zerrissenen Kleidern und einem schmierigen Turban vor dem Pferd des Sultans zu Boden.
» Marhaban , mein Herr! Die Tore des Himmels sind geöffnet, die Tore der Hölle sind geschlossen, der Teufel ist in sicherem Gewahrsam und die djenoun sind weggesperrt. Ich bitte Euch: Brecht Euer Fasten mit Euren armen Untertanen.«
Das gefällt Ismail sehr. Zufrieden, wenn auch nicht gerade königlich, hockt er auf einer der schäbigen Strohmatten, die um das Feuer ausgelegt sind, isst mit den Dorfbewohnern und nimmt die Jungfrau an, die man ihm in dieser Nacht als Geschenk für sein Bett darbietet. Nach der sarkastischen Bemerkung des Großwesirs habe ich das Diwanbuch nicht eingesteckt, und niemand kann mir sagen, wie der Name des Mädchens buchstabiert wird, denn von all diesen Leuten kann niemand lesen oder schreiben. Man wiederholt den Klang des Namens so lange, bis ich ihn einigermaßen nachsprechen kann, und dann schreibe ich ihn mit einem angespitzten Stück Schilfrohr und einer Tinte, die ich aus Asche und Wasser gemischt habe, auf ein Stück Leinen. In dieser Nacht kann ich an nichts anderes denken als an Alys. Ich bete darum, dass es ihr gut geht, und frage mich, ob ich die bevorstehende Schlacht überlebe, wenn wir morgen das Tafilalt erreichen.
EINUNDZWANZIG
Alys
W as habe ich getan? Ich versuche, nicht daran zu denken, aber irgendwie reitet mich der Teufel. Erinnerungen an diesen leidenschaftlichen Kuss, den ich meinem armen Freund schenkte und der ihn beschämt und verwirrt von mir wegtrieb, kommen zurück, glühender als je zuvor. Außerdem erinnere ich mich an den Anblick seines nackten Oberkörpers an diesem entsetzlichen Tag, als der Sultan seinen Tobsuchtsanfall hatte – er sah aus wie eine Skulptur aus Obsidian. Vielleicht ist ein böser Geist in mich gefahren, ein Geist, der jetzt in meinem Bauch von Tag zu Tag größer und stärker wird. Bestimmt werde ich ein Ungeheuer in die Welt setzen.
Ich bete, komme mir jedoch wie eine Heuchlerin vor, wenn ich christliche Gebete spreche, obwohl ich diesem Glauben abgeschworen habe. Meine Verwirrung treibt mich dazu, die ma’alema aufzusuchen, eine Frau, die den Frauen im Harem nicht nur praktische Hilfe beim Erlernen des Stickens, sondern vor allem religiöse Anleitung gibt. Wir haben Meknès in solcher Hast verlassen, dass sie mit Ersterem nicht ausgefüllt ist; Säcke voller Henna, Farben, Schmuck und Ballen von Satin haben dafür gesorgt, dass wir unsere Stickrahmen und Seidenstoffe am Hof zurücklassen mussten, und bislang hat noch niemand den Verlust so sehr bedauert, dass man Sklaven hätte zurückschicken müssen, um sie zu holen.
Ich spreche mittlerweile ein bisschen Arabisch, aber trotzdem habe ich immer noch Mühe, mich verständlich zu machen. Als ich ihr den übersetzten Koran zeige, den mir die konvertierte Engländerin Catherine Tregenna geschenkt hat, und versuche zu erklären, was ich haben will – eine Unterweisung in ihrem heiligen Buch –, schleudert sie es von sich, als wäre es vergiftet, spuckt sich in die Hände und wischt sie dann an ihrem Rock ab. Anschließend eilt sie geschäftig davon, murmelt irgendetwas vor sich hin, und ich bin sicher, dass ich sie auf ewig beleidigt habe, doch wenig später ist sie mit einem wunderschönen, in grünes und goldenes Saffianleder gebundenen Buch wieder da. Dieses öffnet sie von hinten und bewegt den Finger von rechts nach links, während sie die entsprechenden Schriftzeichen rezitiert. Der Klang ist rhythmisch, monoton, ja hypnotisch. Selbst der Affe lässt sich davon einschläfern. Er liegt friedlich zusammengerollt zu meinen Füßen und beobachtet uns mit seinen starren Augen. Da Nus-Nus mir etwas Arabisch beigebracht hat, erkenne ich einzelne Worte aus den Gebeten der Frauen wieder. Ich folge dem Klang und lerne ihn auswendig und wiederhole ihn wieder und wieder wie ein sprechender Vogel. Manchmal macht die ma’alema eine kleine Geste, um mir beim Verstehen zu helfen. Auf diese Weise lerne ich, dass al-Fatiha »Öffnung« bedeutet.
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