Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
anderen hatten sich eingefunden – mit Ausnahme von Rydan, was verwunderlich war, denn obgleich ihr die Nacht liebender Bruder nichts auf die ihm zugeordnete Strophe des Fluches gab, welche besagte, dass die ihm vom Schicksal zugedachte Frau seinen Untergang, zumindest aber das Ende seiner magischen Kräfte herbeiführen würde, missfiel ihm Kellys Anwesenheit auf Nightfall noch stärker als seinem ältesten Bruder. Doch Morganens übrige fünf Brüder hatten keine sonderliche Scheu vor Frauen, noch nicht einmal der übermäßig von sich selbst eingenommene Dominor, der sich, angelehnt an seinen Namensvetter, als alleinigen Herrn über sein Schicksal betrachtete. Ein Lächeln umspielte Morganens Lippen, als sein Blick über die in seiner Kammer versammelten Männer hinwegschweifte.
»Meine lieben Brüder, mein Plan geht noch besser auf, als ich gehofft hatte – zumal unserem Ältesten die Vorstellung,
einer von uns anderen könnte sich um die Frau kümmern und sich als Folge davon in sie verlieben, so schwer im Magen liegt, dass er selbst zwangsläufig immer mehr Zeit mit ihr verbringt.«
»Du magst ja der bedeutendste Magier von uns allen sein, Morg«, Wolfers Stimme glich einem kehligen Grollen, »aber hältst du es für klug, unser Schicksal auf diese Weise herauszufordern?«
Morganen sah ihn an. Seine aquamarinblauen Augen hielten dem Blick des älteren Bruders ruhig stand. »Es ist unser aller Schicksal, und wir können ihm nicht entrinnen. Aber wir können es vielleicht kontrollieren. Wenn das in Sabers Vers vorhergesagte Unheil eintrifft, müssen wir auf alles vorbereitet sein«, fügte er hinzu. »Hier in unserem Exil dürfen wir nicht auf Hilfe vom Festland zählen – selbst wenn ganz Katan Gefahr läuft, zerstört zu werden, sind wir auf uns allein gestellt, also müssen wir bereit sein.
Wenn ich die Verszeilen richtig deute, hat diese Frau, Kelly, irgendetwas mit dem Unheil zu tun, das über uns hereinbrechen wird, kurz nachdem Saber sie für sich gewonnen hat. Falls er sich tatsächlich in sie verliebt, wird sie in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Geschehen stehen – aber nicht, wie manche vielleicht glauben, die Ursache dafür sein«, fuhr er fort, als sein Zwilling unwillig die Stirn runzelte. »Wenn dem so wäre, würden die Zeilen anders lauten; sie würden sie als Auslöserin des Verderbens, das Unheil als Ergebnis von etwas, das sie tut, bezeichnen und nicht ankündigen, dass es ihr auf dem Fuß folgt, ohne dass sie aktiven Einfluss darauf hat. Es handelt sich also um ein Ereignis, das durch mehrere zufällig zusammentreffende Umstände herbeigeführt wird, nicht durch eine bewusste Handlung.
Daher habe ich zwei ausgezeichnete Gründe, die Rückkehr dieser Frau in ihre eigene Welt hinauszuzögern: Ich will, dass wir die uns bevorstehende Katastrophe hinter
uns bringen, und gleichzeitig dafür sorgen, dass die da hineinverwickelte Frau zur Stelle ist, damit sie uns hilft, sie zu erkennen und mit ihr fertig zu werden. Denn versteht mich nicht falsch … sie hat damit zu tun, auch wenn sie das Unheil nicht auslöst«, wiederholte Morganen. »Wenn ich ihre Rückkehr in ihre Heimat verzögere, gewinnen wir Zeit, und Sabers halsstarriger Widerstand wird zermürbt. Aber ewig kann ich sie und ihn nicht hinhalten. Also müsst ihr tun, was in eurer Macht steht, um die beiden zusammenzubringen. Am besten weckt ihr seine Beschützerinstinkte und seine Eifersucht. So unauffällig wie möglich natürlich.«
Einige Brüder lächelten angesichts dieses Zusatzes, andere runzelten besorgt die Stirn. Einer – Dominor – schnaubte abfällig. Morganen entließ sie, ehe Saber sich wunderte, warum sich niemand zu dieser Stunde an seinem gewohnten Platz aufhielt, und auf die Idee kam, sie zu suchen. Die Brüder verteilten sich wieder in der Burg.
Nur Koranen blieb im Raum zurück. Er wartete, bis sie endgültig miteinander allein waren, ehe er das Wort ergriff. »Morg, bist du sicher, dass du das Richtige tust?«
»Natürlich, Kor«, versicherte ihm Morganen im Brustton der Überzeugung, dann trat er zu seinem Bücherregal.
Koranen schüttelte seinen kastanienbraunen Schopf. »Nein, ich meine nicht, dass du versuchst, das Schicksal zu missachten, sondern … hältst du es für klug, die Dinge bewusst ins Rollen zu bringen?« Sein Blick wanderte zu der Tür, die sich kurz zuvor, hinter Dominor geschlossen hatte, und er schüttelte erneut den Kopf. »Ich glaube, die anderen haben noch gar nicht
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