Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
erfüllt. Und wenn du das nicht bist, dann steht es sieben zu eins, dass ich es sein könnte. -
Ich mag Frauen«, fügte Morganen hinzu. »Ich habe mich damals, als wir noch auf unserem Landsitz lebten, in ihrer Gesellschaft sehr wohl gefühlt, mich gerne mit ihnen unterhalten und es genossen, wenn sie sich über kleine Geschenke gefreut haben. Es hat mir gefallen, wenn sie ihre Heime sauber und ordentlich gehalten haben – im Gegensatz zu dem Makkadadak-verseuchten Loch, in dem wir hausen – wie frisch sie dufteten, wenn sie gerade gebadet hatten, und wie hübsch und adrett sie sich zu kleiden pflegten. Und ich mochte ihre Denkweise und ihren Sinn für Humor.
Bei Kata!«, fluchte er plötzlich, verkrallte die Hände ineinander und hob sie zur Decke empor. »Es ist mein gutes Recht, mir eine Frau in meinem Leben zu wünschen, Schicksal hin, Schicksal her! Wenn du sie also nicht willst, hast du jeglichen Anspruch auf sie verwirkt, und es steht mir frei, sie zu umwerben – wie all unseren anderen Brüdern auch, o Ältester«, setzte Morganen spitz hinzu. »Du kannst uns nicht alle umbringen, nur weil wir uns verhalten wie normale, lebende und atmende Männer. Und wenn du mich noch ein einziges Mal tätlich bedrohst, dann verwandel ich dich wirklich in eine Kröte!«
»Ich werde in dieser verdammten Prophezeiung als Erster erwähnt«, grollte Saber, als Morganen sich wieder zur
Treppe wandte. »Also ist die erste Jungfrau für mich bestimmt und für niemanden sonst!«
Morganen blieb stehen, drehte sich um und maß seinen Bruder mit einem Blick, in dem abgrundtiefe Verachtung lag. »Wie kommst du eigentlich darauf, dass sie noch eine Jungfrau ist, Saber? Hast du sie bezüglich ihrer Keuschheit befragt oder dich wenigstens erkundigt, wie viel Wert diesen Dingen in ihrer Welt beigemessen wird? Hast du ihr überhaupt irgendwelche Fragen über ihre Person gestellt, oder hast du dich darauf beschränkt, sie grob anzufahren und ihr Befehle zu erteilen? Wenn das deine Art ist, Frauen zu umwerben, dann tust du mir leid – meine ist es mit Sicherheit nicht. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie man ihnen den Hof macht, so lange ist es nämlich noch nicht her, seit ich zuletzt mit ihnen zu tun hatte, und so jung war ich damals auch nicht mehr.«
Der jüngste Bruder wandte sich erneut ab, betrat die Treppe des Nordflügels und verschwand. Frustriert schlug Saber den Weg zu seinem eigenen Turm ein. Während sich seine Gefühle in einem solchen Aufruhr befanden wie jetzt, konnte er noch nicht eingehender über Morganens offene Worte nachdenken, das führte zu nichts.
Kelly störte sich nicht daran, dass ihr gegen Abend niemand Essen heraufbrachte, sie hatte noch genug von ihrem Frühstück übrig. Und genug Näharbeiten, mit denen sie sich beschäftigen konnte. Sie war gerade dabei, den Ausschnitt des blauen Kleides so zu ändern, dass er ihrer Figur besser schmeichelte. Doch als auch am nächsten Morgen niemand mit einem neuen Tablett erschien, kamen ihr Bedenken. Sie raffte die neu gesäumten Röcke ihres komplett umgearbeiteten Gewandes und begab sich selbst auf die Suche nach etwas Essbarem.
Oder versuchte es zumindest. Das erste Hindernis bestand in der Tür, die sich nicht öffnen ließ. In einer der
Schubladen des ansonsten leeren Schreibtisches entdeckte sie eine alte Bronzebrosche und versuchte das Schloss mit der Nadel zu knacken. Es gelang ihr nicht, was sie nicht weiter wunderte, da sie kaum eine Vorstellung davon hatte, wie man so etwas anfing. Nachdem sie eine Weile erfolglos in dem Schloss herumgestochert hatte, verwarf sie diese Möglichkeit und spähte auf der Suche nach einer anderen Lösung für ihr Problem aus dem Fenster.
Abgesehen von den geschwungenen, bewaldeten Hügeln und dem Wasser in der Ferne konnte sie auch einen guten Teil der Burg selbst sehen: Die achteckig verlaufende äußere Mauer musste gut fünfzehn Meter hoch sein; jeder der auf den Ecken aufragenden Türme ragte noch einmal neun oder zehn Meter in die Höhe, das errechnete sie, indem sie die schießschartenähnlichen Fenster zählte und die Größe der Türen am Fuß der Türme und der, die auf die Brustwehr hinausgingen, schätzte, sowie die Zinnen, die den Fußweg säumten, in ein vernünftiges Verhältnis zur Höhe der Außenmauer setzte.
Als Näherin hatte sie schon vor langer Zeit gelernt, mit den Augen Maß zu nehmen. Dennoch wirkten die Türme und die Mauer aufgrund der Weitläufigkeit des gesamten
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