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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Scham der Venus spaßte? Lärmend trieb er sich in dem großartigen Gebäude herum, stieß seine Römer vor den Bauch, ließ sich von ihnen auf die Schulter schlagen und war ungeheuer beliebt. Er fragte schließlich geradezu, ob sie sich freuten, den Walfisch unter sich zu haben. Stürmisches Gelächter, ungeheurer Jubel war die Antwort. Aber während er mitlachte und lärmte, dabei sogar in Gedanken seine eigenen Worte mitstenographierend, fand er, das sei höchstens der Walfisch, der da lachte und lärmte, nicht der echte Titus. Der echte Titus war fernab, nicht in den Neuen Bädern; er schaute einem Schiff nach, das er nie gesehen hatte und auf dem Berenike war, und das er auf seinem schnellsten Kriegsschiff nicht erreichen konnte.

    Demetrius Liban brachte dem Intendanten der Schauspiele das Manuskript des »Seeräubers Laureol«. Liban war sehr stolz. Der Text der Revue war großartig geworden; das war in Wahrheit das Stück, von dem er seit seiner Kindheit geträumt hatte, und es kam im rechten Augenblick. Er war auf dem Gipfel seiner Kraft, reif, diese Rolle auszufüllen, in der die ganze Epoche stak.
      Voll tiefer Genugtuung erzählte er dem Intendanten, wie er sich Regie und Darstellung vorstelle. Aber der sonst so höfliche und schnell begeisterte Herr blieb diesmal frostig. Er glaubte nicht, sagte er, daß man sich zur Aufführung einer neuen Revue entschließen werde. Man denke an etwas Aktuel les, an die Posse vom »Juden Apella« zum Beispiel; man habe bei Hofe an sehr einflußreicher Stelle den Wunsch geäußert, diese Posse einmal wiederzusehen, und dem römischen Publikum sei sie bestimmt gerade jetzt besonders willkommen.
      Demetrius Liban riß die blaßblauen, trüben Augen weit auf, fast dümmlich vor Verwunderung. Träumte er? War das der Intendant, mit dem er sprach? War man im Jahr 833 nach Gründung der Stadt? Was faselte der Mann da? Er war doch gekommen, um den Seeräuber Laureol zu spielen. Hatte der Mensch nicht etwas gesagt vom Juden Apella? Wie denn? Was denn? War das ein Witz? Wollte der Mensch ihm die Freude verderben dadurch, daß er den Alpdruck von vor fünfzehn Jahren wieder aufsteigen ließ, die Ängste und Skrupel um diese gefährliche Posse, die in dieser Zeit Pogrome und Unheil heraufbeschwören mußte? »Der Kaiser will den ›Juden Apella‹ sehen?« stammelte er. Und, was ihm seit dreißig Jahren nicht mehr passiert war, sein erlesenes Griechisch nahm die Färbung des Dialekts an, jenes halb aramäischen Dialekts, dessenthalb man die Bewohner des rechten Tiberufers verspottete. »Es liegen noch keine bestimmten Weisungen vor«, sagte vorsichtig der Intendant, »aber ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, daß man auf den ›Seeräuber Laureol‹ zurückgreifen wird.«
      Diesmal hatte Liban deutlich gehört. Es war kein Traum, es waren Worte, nüchterne, ernstgemeinte. Sie trafen ihn, ein jedes wie ein Schlag auf den Kopf, erschütterten ihn bis in die Eingeweide. Schwankend, verwirrten Blickes, entfernte er sich.
      Er schickte die kappadokischen Läufer und die Sänfte nach Hause; er mußte jetzt gehen, sich bewegen. Den Palatin herunter zum Forum ging er, taumelnd, vor sich hin schwatzend. Die Vorübergehenden sahen ihm erstaunt nach. Viele erkannten ihn. Einige folgten ihm, Müßiggänger, Kinder, immer mehr. Er sah es nicht. Er fühlte sich plötzlich sterbensmüde, setzte sich auf die Stufen des Friedenstempels, ächzend. Da hockte er, wiegte den Oberkörper, wackelte mit dem Kopf, ein alter Jude. Freunde brachten ihn nach Haus.
      Bittere, reuige Gedanken zernagten ihn. Was ihm geschah, konnte kein Zufall sein. So lange hatte er auf diese Erfüllung gewartet, und nun sie da war, nun der Mensch in seinem Innern fertig war, der Text geglückt, der rechte Rahmen geschaffen, da, im letzten Augenblick, in dem Augenblick gewissermaßen, da er auf die Szene treten wollte, stürzte ihm diese Szene vor den Füßen zusammen. Es war die Strafe Jahves.
      Seine graublauen, trüben Augen wurden vollends stumpf, sein blasses, leicht gedunsenes Gesicht grau, faltig wie ein ungleichmäßig gefüllter Sack. Er zergrübelte sich, verfiel.

    So fand ihn Josef. Der hatte den Umschwung vielleicht am wenigsten zu spüren bekommen; was er erreichen konnte, hatte er schon vorher erreicht. Als er jetzt den Schauspieler dermaßen zerstört vor sich sah, packte ihn der Gedanke, daß es ihm selber leicht ebenso hätte gehen können. Auch erinnerte er sich, was alles

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