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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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hatte wirklich den Freund während der Spiele in den Zuschauerraum des Amphitheaters eingeschmuggelt und sich das graue Eichhörnchen verdient. Es lag Constans daran, jene blöde Geschichte einzurenken. So war ihm die Hilflosigkeit vor der »Großen Deborah« nicht ganz unwillkommen. Eines Tages denn, als sich Simeon nach zahllosen, vergeblichen Versuchen auf das kleine Holzgestell des Geschützes setzte und resigniert feststellte: »Beim Herkel, das ist beschissen«, faßte sich Constans ein Herz, schlug den Simeon auf die Schulter und sagte krampfig munter: »Los, Mensch, gehen wir zu meinem Alten.«
      Simeon hatte die wüsten Schimpfworte nicht vergessen, mit denen Hauptmann Lucrio ihn überschüttet, und nicht seinen Entschluß, den Hauptmann wegen dieses ehrenrührigen Gewäsches zur Rede zu stellen. Auch er hatte nur auf eine passende Gelegenheit gewartet. Er schaute also den Kameraden, wie der ihn einlud, mit zu seinem Vater zu gehen, von der Seite her an, stand dann langsam auf, stellte sich mit gespreizten Beinen, die Fäuste in den weiten Ärmeln in die Seite gestemmt, nachdenklich hin, wie er es vor einem Entschluß zu tun pflegte, und sagte schließlich nach kurzer Überlegung: »Gemacht.«
      Man begab sich zu Hauptmann Lucrio. Die »Große Deborah« schleppte man an einem Strick hinter sich her, stolz auf das Aufsehen, das die merkwürdige Maschine erregte. Simeon kostete den Genuß an diesem Aufsehen nicht ganz aus. Er war beschäftigt mit Überlegungen, wie sich wohl ein junger Mann seiner Art dem Hauptmann gegenüber am richtigsten benehme. Die judenfeindliche Stimmung Roms hatte sich seit der Abreise der Berenike verstärkt; überall jetzt sang man ein Couplet, das jenes »Hep, Hep« als Refrain verwendete, mit dem seinerzeit die römischen Soldaten Jerusalem und den Tempel erstürmt hatten, die Initialen des Hohnrufes: Hierosolyma est perdita, Jerusalem ist hin. An allen Ecken und Enden grölte es: »Was hat der Jud im Tempel? / Ein Schwein, Hep, Hep, ein Schwein. / Warum hat er’s im Tempel? / Weil’s stinkt, so wie er selber stinkt. / Hep, Jud, Hep, Jud, Apella Hep.« Auch Simeon, so beliebt er in seinem Stadtviertel war, bekam die steigende Judenfeindschaft zu spüren. Aber das focht ihn nicht sehr an. Sein Vater Josephus hatte den Ring des Zweiten Adels und machte sicherlich selbst an der Tafel des Walfischs gute Figur. Nannte man also Simeon ein »Judenschwein«, dann schimpfte er zurück »Sohn eines Schindergauls und einer alten Hure« oder dergleichen, fand, er habe nach Punkten gesiegt, und damit war die Angelegenheit abgetan. Für ihn gipfelte das jüdische Problem in der geplanten Auseinandersetzung mit Hauptmann Lucrio, und er war entschlossen, da seinen Mann zu stehen.
      Hauptmann Lucrio selber, so widerwärtig ihm die Juden waren, hatte den anstelligen und geweckten Simeon vermißt; er wie alle Welt hatte im Grund den Jungen gern. Das Bürschlein ist eben eine Ausnahme, pflegte er sich und andern zu sagen. Daß er den Knaben während der Seuche barsch angefahren hatte, fand er natürlich. Es war einfache Pflicht der Selbsterhaltung, während der Epidemie die Götter nicht herauszufordern, und er, Lucrio, konnte ja nichts dafür, daß Simeon ein Judenjunge war.
      Als die beiden Knaben bei ihm eintraten, begrüßte er sie lärmend. Das Modell gar riß sein altes Artilleristenherz hin. Es dauerte nicht lange, da hatte er den Konstruktionsfehler herausgefunden. Er selber half mit, zu schnitzen und zu hobeln. Bald war es soweit, daß man das Modell ausprobieren konnte. Man tat das in der Straße vor Lucrios Haus. Er selber knetete aus Brotteig die Kugeln, Zuschauer sammelten sich, er kommandierte wie in der Schlacht: »Geschoß – bereit« oder »Geschoß – los«. Und siehe, die »Große Deborah« funktionierte. Man schoß auf Spatzen und Tauben, man erlegte eine Taube, es war ein ungeheurer Triumph.
      Doch der Respekt vor dem artilleristischen Können des Hauptmanns hinderte den tapferen Simeon so wenig wie seine Bärbeißigkeit, die Aufklärung von ihm zu verlangen, die zu fordern er sich vorgenommen hatte. Sowie also das Probeschießen zu Ende war, schloß er zunächst diesen ersten Teil der Zusammenkunft säuberlich ab mit der befriedigten Konstatierung: »Schön, das ist das«, wandte sich dann aber kriegerisch an Lucrio, sah an ihm hinauf und fragte herausfordernd: »So, und jetzt, Hauptmann Lucrio, sagen Sie, wieso verpeste ich mit meinem Atem die Luft, und wieso

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