Die Söhne.
mache ich jeden aussätzig, der in meine Nähe kommt?«
Der Hauptmann schaute einen Moment lang den auf dem Fahrgestell der »Großen Deborah« sitzenden Jungen verblüfft an. Dann erinnerte er sich, daß dies ja die Vorwürfe gewesen waren, die er dem Simeon während der Epidemie gemacht hatte, und mit lärmendem Lachen erwiderte er: »Das ist doch klar. Weil du ein Jud bist.«
»Wieso ist das klar?« bestand Simeon. »Haben Sie einmal einen gesehen, der durch die Berührung eines Juden angesteckt wurde?«
»Die ganze Seuche«, belehrte ihn überlegen der Hauptmann, »ist doch nur gekommen, weil der Walfisch daran dachte, die Jüdin zu heiraten. Wenn schon die bloße Absicht eine Seuche verursacht, was für eine Epidemie muß erst bei einer wirklichen Berührung entstehen.«
Diesem Beweis wußte Simeon fürs erste nichts zu erwidern. »Wieso«, fragte er also, nachdenklich, weiter, »glauben Sie, daß die Juden den Zorn des Himmels herausfordern?«
»Tu doch nicht so«, ärgerte sich Lucrio. »Das wissen doch alle. Erstens, weil ihr eine Scheißbande seid, und zweitens, weil ihr einen ganz verruchten, hinterhältigen Aberglauben habt.«
»Wieso sind wir eine Scheißbande?« fragte höflich und beharrlich Simeon.
Lucrio rötete sich. »Ihr seid Faulenzer«, begann er seine Anklage zu detaillieren. »Jeden siebenten Tag faulenzt ihr und freßt euch voll mit Delikatessen. Dazu habt ihr die Frechheit, diese Faulenzerei Sabbat zu nennen nach dem Gesabber der Verseuchten, denen ihr die Seuche bringt. Außerdem seid ihr geil, geiler als die geilsten Böcke. Aber ihr seid noch eingebildeter als geil. Darum rührt ihr keine Nichtjüdin an.«
Simeon saß erbittert auf seinem Geschütz und dachte scharf nach. »Ich bin nicht geil«, sagte er schließlich streitbar.
»Es war auch nicht persönlich gemeint«, lenkte der Haupt
mann ein. Simeon brütete. Er war gründlich und gab sich nicht so rasch zufrieden. »Und wieso Aberglauben?« fragte er.
»Weil ihr einen Esel göttlich verehrt«, schrie, über soviel gespielte Ignoranz ergrimmt, der Hauptmann. »Weil ihr Griechenjungen schlachtet. Weil bei euch jedes Schwein seines Lebens sicherer ist als ein anständiger Nichtjude.«
»Beim Herkel«, sagte Simeon, »davon müßte ich doch auch etwas gemerkt haben.«
Lucrio schaute mißtrauisch auf den Jungen. Aber der saß in einer solchen Haltung da, daß man wirklich nicht an Verstellung denken konnte. »Vielleicht haben sie dir noch nichts gesagt«, meinte er, »weil du zu jung bist.« Und um jeden weiteren Einwand zu ersticken, fügte er hinzu: »Achtzigtausend gute römische Soldaten sind in Judäa gestanden. Die haben es mit ihren eigenen, guten, römischen Augen gesehen. Außerdem ist es doch klar: wer die richtige Religion hat, siegt. Habt ihr vielleicht gesiegt? Also habt ihr den Aberglauben. Stimmt’s?«
Leider fiel dem Simeon im Augenblick auf dieses Argument keine schlagende Antwort ein. »Sie sind ein großartiger Offizier, Hauptmann Lucrio«, begnügte er sich also zu erwidern. »Aber ich sage Ihnen, das Judentum ist eine erstklassige Sache.«
Die Freude an dem Geschütz war Simeon durch diese Unterredung verdorben. Die Argumente des Hauptmanns nagten an seinem Stolz. Wenn ein Mann soviel von Geschützen verstand wie Lucrio, dann mußte an seinen Argumenten etwas sein. Er dachte daran, seinen Vater zu fragen. Das Interesse, das Josef der Vorführung der »Großen Deborah« bezeigte, ermutigte ihn. Zwei-, dreimal setzte er an, von seinen drückenden Zweifeln zu sprechen, aber er konnte die Scheu vor dem großen, ernsten Herrn nicht überwinden. Er spürte, wie reserviert Josef bei aller Freundlichkeit blieb. Hätte Josef Herz und Sinn mehr geöffnet, sicher wäre der Junge mit seiner Sache herausgerückt; er war so benommen davon, daß eigentlich selbst ein Fremder hätte merken müssen, daß eine heimliche Sorge ihn drückte. Aber Josef war ausgefüllt von dem Streit um seinen Sohn Paulus, er merkte nichts und ließ seinen Sohn Simeon mit seinen Sorgen allein.
Der wandte sich schließlich an Alexas. Sprach ihm von dem, was der Hauptmann den Juden vorwarf, und bat ihn, ihm »auf Ehrenwort« mitzuteilen, was es mit der Anbetung des Esels, der Schlachtung der Griechenjungen und diesen Anwürfen auf sich habe. Alexas war in seinem Innern erbittert auf Josef, daß der den Jungen so hatte verwildern lassen. Mit guten, ruhigen Worten setzte er Simeon
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