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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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auseinander, das seien dumme, armselige Verleumdungen. Die Götter der andern Völker seien leicht verständlich, sie seien Götter jeweils einer bestimmten Gruppe und jedem sichtbar, auch den Dummen, man könne sie beschenken, wenn sie einem hülfen, und beschimpfen und schlagen, wenn sie sich versagten. Der Gott Jahve aber sei unsichtbar und nur denen verständlich, die ihr Hirn ein bißchen anstrengten. Er sei nicht ein Gott, den man einfach von seinem Vater erbe. Er sei der Gott aller Welt, aber eben begreiflich nur denjenigen, die sich Mühe gäben. Infolgedessen würden seine Verehrer von den Faulen und Dummen gerne verleumdet. Schon aber hätten auch unter den Römern und Griechen viele ihn erkannt. Er sei ein Gott auf lange Sicht, und bald werde die Zeit kommen, da alle ihn erkennten, und dann sei kein Unterschied mehr zwischen Römern, Griechen, Ägyptern oder Juden. Es sei jetzt schon müßig, solche Unterschiede zu machen, und einmal werde man diejenigen Narren schelten, die erklärten, einer sei besser oder schlechter, weil er dem oder jenem Volke angehöre.
      Simeon überdachte das, es leuchtete ihm ein, und er fand, eigentlich hätte sich Lucrio das alles auch überlegen müssen. Ein Mann, der so gescheit war und Artillerist dazu, hätte die verdammte Pflicht gehabt, sich die Nase dreimal zu schneuzen, ehe er sich solchen Quatsch über die Juden aufbinden ließ und ihn weitergab. Er beschloß, den Hauptmann für seine freche und bequeme Leichtgläubigkeit zu bestrafen.
      Unter den Schätzen, die er aus Judäa mitgebracht hatte, war eine Wurzel, der eine besondere Kraft eignete. Diese Wurzel zerrieb er zu Pulver, und das Pulver praktizierte er seinem Kameraden Constans, unmittelbar bevor er nach Hause ging, heimlich in den umgeschlagenen Ärmel des Straßenkleids. Er wußte, daß Constans, zu Hause angelangt, das Straßenkleid sogleich wechseln mußte und daß es umgedreht, gelüftet und säuberlich verwahrt wurde.
      Es kam, wie Simeon es sich ausgedacht hatte. Als Hauptmann Lucrio sich zu Tisch setzen wollte, begann erst seine Frau zu niesen, dann er selber, dann Constans. »Zeichen angenommen«, rief der Hauptmann, denn das Niesen war ein günstiges Omen. Aber das günstige Omen dauerte sehr lange. Der Leibeigene kam und trug die Speisen auf, und das günstige Omen ging noch immer weiter. Der Hauptmann winkte dem Leibeigenen, die Speisen wieder wegzutragen und warm zu stellen, aber der Leibeigene verstand ihn nicht, vielmehr begann er selber an dem günstigen Omen teilzuhaben. Die Speisen wurden kalt, und das Omen hörte nicht auf.
      Erschöpft schließlich hockten sie alle auf Stühlen oder am Boden. Noch nach Atem japsend, ohne Zusammenhang, fragte der Hauptmann den Constans: »Warst du mit Simeon zusammen?« Constans war nicht übermäßig schlau, doch auch er ahnte Zusammenhänge. »Hast du wenigstens gezählt«, fragte der Hauptmann, noch immer zwischen schnellen Atemzügen, »wie oft?« Wenn nämlich die Zahl der Niesausbrüche durch sechs teilbar war, dann war sie besonders günstig. »Fünfundachtzig«, sagte Constans aufs Geratewohl, er hatte nicht gezählt. Der Hauptmann selber hatte die Zahl einhundertzweiunddreißig herausbekommen, aber er war seiner Sache nicht ganz sicher und hatte von Constans eine Bestätigung hören wollen. »Ich will dich lehren«, schrie er also, »mir meine günstigen Zeichen zu verhunzen«, packte den Constans und verprügelte ihn, so kräftig das seine Erschöpfung zuließ.
      Constans, als er seinen Freund am andern Tag traf, erzählte ihm nichts von diesen Vorgängen. Aber plötzlich, ohne ersichtlichen Anlaß, schimpfte er los: »Scheißkerl, Saujud«, und stieß den harmlos neben ihm Trottenden tückisch schmerzhaft in die Rippen. Da merkte Simeon, daß alles nach Wunsch gegangen war, und in der Rauferei, die sich aus dem Stoß des Constans entwickelte, behandelte er diesen mit Glimpf und Großmut.
    Josef versuchte in diesen Wochen mehrmals, sich ernsthaft an die neue Arbeit zu machen, das ungeheure Material für seine »Universalgeschichte des jüdischen Volkes« zu sichten. Aber es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren. Seine Gedanken schweiften ab zu seinem Sohne Paulus. Immer wieder stellte er sich mit Bitterkeit vor, wie sicher in seinem Streit er sich fühlen dürfte, wenn Berenike auf dem Palatin thronte. Dann wieder freilich schien es ihm beinahe gut und ein Beweis jener Vorsehung, die über ihm waltete, daß die Hoffnungen auf Berenike

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