Die Söhne.
dann war man, Justus wußte nicht mehr, in welchem Zusammenhang, auf das Buch Esther zu sprechen gekommen, und Justus hatte sich ein wenig über Ahasver mokiert, jenen etwas schwachsinnigen Haremskönig, der sich von seiner Favoritin im Bett die Wünsche ihres Clans suggerieren läßt. Es schien, daß Berenike die Charakteristik des Justus auf ihren Titus bezogen und sich darüber merkwürdigerweise geärgert hatte. Jedenfalls war sie sichtlich verstimmt gewesen, und Justus, stolz und verdrossen, hatte gar nicht erst von seinen eigenen Dingen zu reden angefangen, sondern hatte es vorgezogen, Agrippa glattwegs um seine Entlassung zu bitten.
Josef hörte den Bericht mit viel Bedauern und ein ganz klein wenig Genugtuung. Er begriff gut, daß Agrippa das bösartige Kichern des scharfen Herrn nicht immer um sich haben wollte. Seltsam, daß ein Mann, der theoretisch soviel von Psychologie verstand wie Justus, sowenig praktische Menschenkenntnis besaß. Wie die Dinge lagen, konnte Josef seinen Freund ohne große Mühe überreden, auf dem Gut zu bleiben, bis die Erlaubnis aus Cäsarea eingetroffen sei. Er wartete darauf, daß Justus ihn nach seinen Plänen fragen und von seinem eigenen Werk zu sprechen beginnen werde. Schließlich, da Justus schwieg, fragte er ihn geradezu, ob er um seiner Arbeit willen nach Judäa gekommen sei. Justus bejahte. Josef, erfreut, meinte, auch er selber verspreche sich mancherlei Vorteile für sein Werk von der Luft des Landes, seinen Farben, seinen Menschen, seiner Sprache.
Doch Justus verzog nur die dünnen Lippen. Er kam nicht aus Stimmungsgründen. Er suche Material, erklärte er trocken, Ziffern, Statistiken. Und Josef war erbittert, daß des Justus Reise nach Judäa eine Bestätigung des Johann von Gischala war, nicht eine Bestätigung seiner selbst.
Josef und Justus hatten eine Unterredung mit Josefs Leibeigenem, dem Gehorsamen, dem Minäer. Die beiden Herren befragten ihn um seine Glaubensgrundsätze, Justus aufreizend hochmütig. Man saß in einem niedrigen Raum, halb Küche, halb Wohnraum, es war Abend und sehr still. Fernher kam das Trappeln und Blöken der heimkehrenden Schafherden, irgendwo sangen Leibeigene eintönig in einer fremden Sprache. Die beiden Herren fragten den Gehorsamen aus wie Forschungsreisende den Angehörigen eines primitiven Stammes. Der Gehorsame ließ es sich nicht verdrießen, den offenbar skeptischen, zuweilen recht bissigen Zuhörern seinen Glauben mit Geduld darzulegen; leise, wenn er sich bewegte, klingelte die Schelle seiner Leibeigenschaft. Justus schien bei aller Überheblichkeit interessiert. Er fragte immer weiter, auch Josef hatte noch viel zu fragen, es wurde Nacht, man brachte Licht, sie fragten noch immer, und der Gehorsame gab unermüdlich Auskunft.
Als sie ihn endlich entlassen hatten, forderte Josef den Justus auf, mit ihm noch ein wenig spazierenzugehen. Justus war bereit, sie gingen, es war eine angenehme Nacht, und Josef fand seinen schwierigen Freund in ungewöhnlich zugänglicher, gelöster Laune. Er wollte diese Stimmung ausnutzen, um sich mit ihm über die Fragen zu unterhalten, die ihn bedrückten.
Sie ließen sich am Rand einer Zisterne nieder. Ein undeutlicher Mond in der Sichel des ersten Zunehmens schwamm am dunstigen, bläulichschwarzen Himmel, ab und zu kam ein halber Vogelruf durch die Nacht. Josef öffnete dem Justus sein Herz, zeigte ihm seine Zweifel, seine Wirrnis. Da waren die Ungelehrten, die Armen im Geiste, die auf einmal verlangten, an Jahve und der Lehre ebenso teilzuhaben wie die Gebildeten. Bestand ihr Anspruch zu Recht? Sollte man sie gewähren lassen? Da waren die toleranten Lehren des Ben Ismael und die höhnischen Angriffe des Acher, die ihn nach dieser, die realpolitischen Argumente des Gamaliel, die ihn nach der andern Seite zerrten. Ja, Josef fragte sich jetzt manchmal ganz ernstlich, ob seine ganze Gelehrsamkeit, seine mit soviel Mühen erworbene Methode mehr sei als bloßer Dunst, ob nicht Leute wie der Minäer Jakob oder selbst dieser Gehorsame, einfach durch ihren Glauben und ihre Intuition, eine tiefere Erkenntnis Jahves und der Welt besäßen.
Justus war sommerlich leicht angezogen; er sah erschrekkend mager aus, und der Armstumpf mit der trockenen, verschrumpften Haut ragte häßlich aus dem ärmellosen Unterkleid. So saß er dünn und hager im unsicheren Licht auf dem Brunnenrand neben Josef. »O mein Josef«, sagte er und kicherte auf seine gewohnte Art, doch war sein Spott
Weitere Kostenlose Bücher