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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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römisch. »Ich kann nicht zugeben, daß die Motive eine Tat verändern. Ich kann nicht zulassen, daß einer in die Gemeinschaft Israels aufgenommen wird und unbeschnitten bleibt. Eine Sekte, die Unbeschnittene zuläßt, kann in unserer Gemeinschaft nicht geduldet werden. Gebrauchen Sie Ihre Vernunft, Doktor Josef«, redete er dem andern zu. »Die Anerkennung eines solchen Lehrsatzes käme der Auflösung des Judentums gleich. Wir sind heute so weit, daß das Zeremonialgesetz die Juden, auch die im Ausland, so fest zusammenhält wie ehemals der Tempel, ja, sie schauen heute noch unverrückbarer nach Jabne als einstmals nach Jerusalem. Lasse ich die Riten ins Wanken kommen, dann stürzt dieser Zusammenhalt, dann stürzt alles.« Und, näher an ihm, vertraulich, listig, geheimnisvoll, fügte er hinzu: »Ich gehe weiter. Daß die Römer die Beschneidung verboten haben, scheint mir ein Wink Jahves. Er will jetzt nicht noch mehr Heiden hereinnehmen in seinen Bund. Er will, daß wir uns zuerst festigen in uns selber. Er hat die Liste zeitweilig geschlossen.«
      Josef, finster, hielt ihm seine alten Einwände entgegen: »Was aber bleibt vom Weltsinn der Lehre, wenn Sie die Heiden der Möglichkeit berauben, Jahves teilhaftig zu werden?«
      »Ich habe die Wahl«, erwiderte der Großdoktor, »den Universalismus der Juden aufs Spiel zu setzen oder ihre Existenz. Soll ich um eines Teiles der Idee willen die ganze Idee gefährden? Ich ziehe es vor, das Judentum für eine Weile national einzuengen, statt es ganz aus der Welt verschwinden zu lassen. Ich muß die Gemeinschaft über die nächsten dreißig Jahre hinwegbringen, die gefährlichsten, seitdem Jahve den Bund mit Abraham schloß. Wenn diese Gefahr vorbei ist, mag sich der jüdische Geist von neuem universalistisch betätigen.«
      »Und war es notwendig«, fragte nach einer Weile bitter Josef, »daß Sie Ben Ismael zum zweitenmal demütigten, und auf so harte Art? Denn Sie wissen, von diesem Schlag erholt der Mann sich nie mehr.«
      »Ich weiß es«, gab Gamaliel zu. »Ich konnte ihn nicht schonen. Da der Schnitt gemacht werden mußte, war es notwendig, ihn wirksam zu machen. Sie wissen, wie besessen Flavius Silva ist von Haß gegen die Proselytenmacher. Er hat bestimmt sehr bösartige Repressalien vorbereitet für den Fall, daß wir uns nicht auf sichtbare Art von den Minäern scheiden. Er hat da allerlei Mittel: er kann uns die Privilegien entziehen, die Gerichtsbarkeit, die Universität Jabne. Ich mußte das Haupt derer treffen, die im Verdacht standen, den Minäern zuzuneigen. Die Demütigung Ben Ismaels sichert die Privilegien Jabnes.«
      Wahrscheinlich hatte Gamaliel recht. Aber Josef dachte an das weiße, lange, schmerzhafte Gesicht Ben Ismaels; Trauer und Zorn schüttelten ihn, daß er die Fäuste vor die Augen preßte wie ein Kind.

  »Ich liebe Ben Ismael«, sagte nach einer Weile behutsam der Großdoktor. »Hier in diesem stillen Zimmer, im Gespräch mit Ihnen, wundere ich mich, wie ich es über mich gebracht habe, ihn bis in den Tod zu kränken. Hier hätte ich es nicht tun können. Gamaliel hätte dem Ben Ismael das nicht antun können, lieber wäre er selber außer Landes gegangen. Aber Gamaliel und der Großdoktor sind nicht dasselbe. Der Großdoktor bringt die Kraft auf, Gewalt zu tun und Menschen zu zertreten, wenn politische Vernunft es verlangt. Ich wäre ein Verbrecher, wenn ich, um den Mann Ben Ismael zu schonen, die Interessen der Gesamtheit geschädigt hätte.«
      »Ich könnte soviel Vernunft nicht aufbringen«, sagte voll Verzicht und Bitterkeit Josef.
      »Sie wollen nicht für uns nach Cäsarea gehen, mein Josef?« fragte Gamaliel und verhehlte nicht seine Enttäuschung.
      »Ich bewundere die Folgerichtigkeit Ihrer Politik«, erwiderte Josef. »Aber mich fröstelt, wenn ich daran denke, daß ich Ihnen beinahe ja gesagt hätte.«

    In das Achtzehngebet, nach der schönen elften Bitte: »Setze unsere Richter wieder ein wie früher und unsere Fürsten wie ehemals«, wurde die neue Bitte eingefügt, die mit den Worten begann: »Den Ketzern sei keine Hoffnung«, und die endete: »Gelobt seist du, Jahve, der die Ketzer zuschanden macht und aufs Haupt schlägt die Überheblichen.«
      Die Aufnahme dieser Bitte in das tägliche Gebet hatte die beabsichtigten Folgen. Wohl kehrten viele von den Minäern um, verleugneten die neue Lehre und sagten amen, wenn Jahve angefleht wurde, diejenigen auszutilgen, die da an einen bereits

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