Die Söhne.
seiner Ankunft in Rom zustande gebracht habe. Justus zögerte eine ganz kleine Weile, dann gab er ihm sein Manuskript. Er hatte aber während dieser Woche jene fünfzig Seiten über die Belagerung Jerusalems geschrieben, die später die Kenner als die beste Prosa des Jahrhunderts rühmten.
Josef las. Wie war hier klar und leuchtend gemacht, was innerhalb der Mauern Jerusalems vorgegangen war und was außerhalb, die vorgeschobenen Gründe der Juden und der Römer und ihre wahren, dieses ganze Knäuel von wirtschaftlichen, sozialen, religiösen, militärischen Interessen, von Glauben und Aberglauben, von Politik und Gottessehnsucht, von Ehrgeiz, Liebe und Haß der einzelnen. Wovon Josef auf dreihundert Seiten eine dunkle Ahnung gegeben hatte, das war hier auf fünfzig klar und scharf ins Licht gestellt. Josef las, und es hob sein Herz, daß einer das hatte schreiben können. Josef las, und es zerfraß sein Herz, daß der andere es war, der das geschrieben hatte.
Er gab dem Justus das Manuskript zurück. Er sagte: »Das ist das Beste, was Sie gemacht haben, Justus. Das ist das Beste, was einer in unserer Zeit gemacht hat. Jetzt ist alles und für immer über den Krieg gesagt.« Seine Stimme war heiser, aber er brachte es über sich, diese Wahrheit auszusprechen.
Als er allein war, wog er. Er hat sich umgetan im Leben und in der Wirklichkeit. Er war nicht nur Schriftsteller, er war Staatsmann und Soldat gewesen. Die Herren der Welt ehrten, die schönsten Frauen der Stadt liebten ihn. Er hat sein großes Buch geschrieben, seine Bildsäule stand im Friedenstempel. Aber was er in einem mühevollen Leben und in einem dicken Buch zu sagen sich vergeblich bemüht hat, das hat dieser Justus auf seinen fünfzig Seiten gesagt. Und der Knabe Paulus, um den er so lange mit Einsatz seines Lebens gerungen hat, diesem Justus ist er von selber zugefallen.
Er spürte eine tiefe Leere in sich. Nachdem er die Seiten des andern gelesen hatte, schien es ihm sinnlos, selber weiterzuarbeiten.
Er schrieb Mara. Bat sie, beschwor sie, bald zu kommen. Ihre Gegenwart, glaubte er, werde ihm und seinem Werk neuen Wind geben. Aber er wußte, daß Mara bei ihrem Vorsatz bleiben und das Gut »Brunnen der Jalta« nicht verlassen werde, bevor sie ihre Arbeit dort zu Ende geführt hat.
Winter und Frühjahr waren vorbei, und Dorion hatte keine Gelegenheit gefunden, Josef zu sehen.
Der Tag kam, an dem sie von seinem Plan erfuhr, Mara zurückzurufen, sie zur Vollrömerin zu machen, sie wieder zu heiraten.
Es war Marull, der ihr davon erzählte. Es gelang ihr, sich zu beherrschen, lächelnd von Gleichgültigem zu sprechen, solange Marull blieb. Dann freilich, als sie allein war, packte sie die Nachricht mit ganzer Gewalt, sie atmete heftig, ihr Kopf schmerzte unerträglich, mit verfallenem Gesicht lag sie bäuchlings auf ihrem Sofa.
Daß Mara durch Josef zur Vollrömerin werden sollte, während sie selber es noch immer nicht war, schien ihr eine unerhörte Schmach. Sie vergaß, daß seinerzeit sie selber sich dagegen gesträubt hatte, ihre Ehe mit Josef legalisieren zu lassen, und daß sie jetzt, um Römerin zu werden, nur ein Wort zu Annius Bassus sagen mußte. Sie wollte nicht durch Annius, durch Josef wollte sie Römerin werden, sie, nicht die andere. Was stand denn noch zwischen ihnen, seitdem er ihr den Jungen zurückgeschickt hatte? Schön, sie hatte darauf gewartet, daß dann er den ersten Schritt tun werde, und er hatte geglaubt, mit seinem Opfer genug getan zu haben. Ihr Standpunkt war gut, aber auch sein Argument ließ sich hören. Das Ganze war ein Mißverständnis. Das wäre ja zum Lachen, wenn sie, Dorion, diese Provinzjüdin nicht sollte aus dem Felde schlagen können.
Aber als zwei Stunden später Annius kam, hatte sie ihren Vorsatz, sich Josef zurückzuholen, vergessen, und in ihr war nichts als Wut. Diesmal begann sie, vor dem erstaunten Annius den Josef herunterzureißen. Sie sprach nicht lärmend wie Annius, sie sprach leise und leicht, aber sie machte sich bitterer über Josef lustig, als Annius je es hätte tun können. Sie kannte Josefs Wesen und Leben bis ins letzte, und aus dieser intimen Kenntnis holte sie alle jene kleinen Züge und Episoden, die ihr geeignet schienen, ihn lächerlich und widerwärtig zu machen, und breitete sie vor Annius hin. Der lachte, lachte immer mehr, lachte schallend. Allmählich aber stieß der maßlose Haß ihn ab, der sich, bei aller Eleganz der Rede, vor ihm
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