Die Söhne.
heraushören? Kann überhaupt, wer Justus verehrt, den Josef achten?
Einmal, unvermittelt und bösartig, brach er ein Gespräch über Paulus vom Zaun. »Gefällt Ihnen mein Paulus?« fragte er. »Er gefällt mir nicht schlecht«, erwiderte harmlos Justus. »Sie finden ihn wohl sehr anders als mich?« bohrte Josef weiter. Justus zuckte die Achseln, erwiderte scherzend: »›Seid nicht wie eure Väter‹, heißt es in der Schrift.« – »Ein Wort, das den wenig stört, der keinen Sohn hat«, meinte Josef. »Ich glaube nicht«, überlegte Justus, »daß ich es meinem Sohn verübelte, wenn er mir nicht nachschlüge. Die Generation von heute«, fuhr er auf seine verallgemeinernde Art fort, »hat wenig Ursache, es ihren Vätern nachzutun. Die haben ihren ungeheuer blöden Krieg gemacht und sind, mit Recht, fürchterlich geschlagen worden. Können Sie da verlangen, daß Ihr Sohn sich an seinen jüdischen Vater hält und nicht an sein griechisches Teil? Es war schön und gut«, setzte er fast mit Wärme hinzu, »daß Sie ihn sich selbst überlassen und nicht mit Gewalt zurechtgebogen haben.«
Josef schwieg eine kleine Weile. Dann, leise und grimmig, sagte er: »Ich wollte, ich wäre damals nicht so weich gewesen.«
Justus sah ihn erstaunt an. »Bitte, überlegen Sie«, erwiderte er, ungewohnt sanft, »was sollte heute ein jüdischer Sohn von seinem Vater anderes lernen, als das Gegenteil zu tun von dem, was der getan hat, und das Gegenteil zu glauben von seinem Glauben? Die Väter sind gegen Rom aufgestanden. Die Söhne glauben nicht mehr an die Aktion. Sie sind mißtrauisch gegen das Tun, sie fallen den Minäern zu und ihrer Lehre vom Nichttun und vom Verzicht.«
»Mir ist eine Nacht im Gedächtnis«, spottete Josef, »und ein Gespräch an einem Brunnen, da fand ein gewisser Justus sehr höhnische Worte über Nichttun und Verzicht.«
»Habe ich etwas gesagt«, ereiferte sich Justus, »daß diejenigen recht haben, die an Nichttun und Verzicht glauben? Ich dachte nicht daran, und ich denke nicht daran. Ich verteidige nicht die Söhne. Sie sind aus dem gleichen schlechten Holz, die Jungen wie die Alten. Die Väter hatten kein Vertrauen in die eigene Kraft, sie fühlten sich, die einzelnen, schwach: darum machten sie sich eine Krücke, erfanden sich ihre Lehre von der Nation, bildeten sich ein, die Kraft und Größe der Nation stärke den einzelnen. Die Söhne haben sich für ihre Schwäche eine andere Krücke gezimmert, sie machen sich vor, ein Messias könne ihnen helfen, der für sie am Kreuz gestorben ist. Glaube an die Nation, Glaube an den Messias: Torheit beides, Ausfluß der eigenen Schwäche.«
»Das sind kluge Abstraktionen«, höhnte Josef, »und sie wären mir ein Trost, wenn ich keinen Sohn hätte. So aber habe ich einen Sohn, und er ist ein Grieche, kein Jude, und Ihre Allgemeinheiten helfen mir nichts.« Und er schloß grimmig: »Sie sind ein großer Schriftsteller, Justus von Tiberias, ein viel größerer als ich. Meinem Griechisch können Sie nachhelfen, vielleicht sogar meiner Philosophie: aber mit meinem Wesen und meinem Leben, mit meiner Wirklichkeit, muß ich leider allein fertig werden.«
Daß Josef dem Justus so bittere Worte sagte, geschah nicht nur um seines Sohnes Paulus willen. Vielmehr sprach aus ihm der Verdruß darüber, daß ihm sein neues Buch nicht gelingen wollte. Die Gegenwart des Justus hatte bald aufgehört, ihm Sporn und Stachel zu sein, jetzt war sie ihm ein Vorwurf wie früher. Von wo immer er seine »Universalgeschichte« anpackte, die Arbeit geriet nicht, seine Sätze blieben wie er selber unbeschwingt, und mehr und mehr lähmte ihn Unlust.
Justus hingegen sprach davon, daß seine neue Reise in die Welt, nach Judäa und nach Rom, ihn von vielen Ressentiments geheilt, ihn in seinem individualistischen Stolz und seinem Glauben an die Sendung des Schriftstellers bestärkt habe. Sie habe ihm von neuem gezeigt, wie sehr die Menschen jenem Auf und Ab von Ziffern und Daten unterworfen seien, jenen politischen und ökonomischen Zusammenhängen, die man Schicksal nenne, wie aber gleichwohl ein anderes Bild des Lebens nur entstehe, wenn ein einzelner diese trockenen Ziffern und Daten in sein Herz aufnehme, sie mit seinen Säften befruchtend. An diesem seinem wahren Bild des Lebens also arbeitete er jetzt und dies sichtlich mit Lust und gutem Gelingen.
Josef nahm es wahr, und Neid zernagte ihn. Gespannt bat er den Freundfeind, ihm zu zeigen, was er seit
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