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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gewesen im Lande Ägypten.«
      Josef spürte sich mit einemmal diesen Rollen körperhaft verwandt. Hier in dem Schrein versammelt waren seine Väter und Vorväter, und sie alle hatten nur gelebt, um in ihn einzumünden. Es war der Sinn und die Erfüllung ihrer Geschichten, wie sie verwahrt lagen in diesem Schrein.
      Die Könige der Ägypter glaubten, sie könnten den Tod besiegen, wenn sie ihre einbalsamierten Leiber in mächtige, spitze, dreieckige Berge einschlössen. Nein, sie hatten das Geheimnis nicht, diese Toten: wir haben es. Mit ein paar Buchstaben, durch die Magie des Wortes, besiegen wir den Tod. In diesen kleinen Rollen haben wir Judäas Leben eingefangen, so daß es nie auslöschen wird. Das Reich Israel konnte untergehen, das Reich Juda, das zweite Reich Judäa, der Tempel: der Geist der Rollen ist unzerstörbar.
      Er hielt Zwiesprach mit den Rollen des Schreins. Der Ausschnitt in der einen, blutbesudelten Rolle wurde ein großer, klaffender Mund, der zu ihm sprach. Alle taten sie ihre Münder auf, die Rollen, und sprachen zu ihm. Das halbhelle Gewölbe um ihn füllte sich mit Gestalten, wuchs, weitete sich, schon sah man keine Wände mehr. Israel war um ihn, zahllos wie der Sand des Meeres, endlos im Raum, endlos in der Zeit.
      Was Claudius Regin ihm einmal gesagt hatte von den Geschichten und Situationen der Bibel, die er selber und in sich erlebt habe, wurde ihm plötzlich aus einem Wort zu einer Wirklichkeit. Er schwatzte mit den Unsichtbaren im Raum, mit seinen längst toten Vätern und Onkeln und Vettern. Ließ sich von ihnen belehren. Stritt mit ihnen. Drohte scherzhaft denen, die sich in ihrem Eifer für ihr Volk übernommen hatten, dem Pinchas, dem Esra und dem Nehemia. Unterhielt sich kopfwiegend weise mit dem klugen Mardochai über Sinn und Unsinn des Nationalismus. Er hatte von jeher gewußt, daß die Größe und Geschichte einer Nation die Kraft nur desjenigen mehren kann, der schon von Natur stark ist, daß sie aber dem Schwachen nicht weiterhilft. Wenn der sich auf die Nation stützen will, erweist sie sich als ein trügerisches Rohr, und der falsche Hochmut auf ihre Kraft nimmt ihm nur die Einsicht in die eigene Schwäche. Hoffe keiner, der selber schwach ist, er könne sich helfen, wenn er sich an andere klammert. Einem jeden wird die Rechnung präsentiert, jeder hat für sich selber zu zahlen, Kraft stärkt nur den Kräftigen, den Schwachen stößt sie vollends hinunter. Der weise Mardochai nickte beifällig mit dem etwas wackeligen Kopf, er meinte, er habe es immer gesagt, so viele Judenfeinde hätte man nicht erschlagen müssen nach dem Sturze Hamans, es seien übrigens, unter uns, auch nicht so viele gewesen, wie der Verfasser des Esther-Buches angab. Und im Hintergrund, verdämmernd, stand die riesige Gestalt des Jesajas und nickte.
      Josef hörte zu, fragte, gab Rede und Widerrede, groß angeregt. Nein, keiner konnte besser die Geschichte der Judenheit schreiben als er, der ihr Für und Wider in sich selber austrug. Vaterländisch mit seinem Herzen stand er bei seinen Juden, weltbürgerlich in seinem Hirn stand er über ihnen, und nie mand besser als er erkannte die Grenzen, wo ihre Vaterlandsliebe anfing, Unsinn zu werden.
      Er erhob sich, trat vor den Schrein, führte die Finger zum Mund, rührte den weißen, mit blassen Goldbuchstaben bestickten Vorhang, sich tief neigend. Und während er so stand, lastete auf ihm die Schwere seiner Aufgabe, aber gleichzeitig spürte er eine ungeheure Lust zum Werk und Zutrauen zu sich selber.
      Beschwingt, voll von Gesichten, verließ er den Raum mit den Thorarollen, um den Weg zu beschreiten, den er bis in seine letzte Krümmung vor sich sah.

    Claudius Regins fette Finger wirtschafteten in Papieren herum, holten Tabellen hervor, seine quäkende Stimme erläuterte sie. Der Gegenstand, über den er dem Prinzen Domitian vortrug, war schwierig. Es ging wieder einmal um jene Geländeschnitzel, die bei den Bodenzuteilungen an die Militärkolonien übriggeblieben und von den verteilenden Beamten oder von Privaten ohne weitere Rechtstitel eingesteckt worden waren. Der Brauch war Jahrzehnte hindurch geübt und von der Regierung geduldet worden. Vespasian aber hatte sich darangemacht, diesen unrechtmäßigen Besitz einzuziehen, und auf diese Art Terrains im Wert von zweihundertsechzig Millionen hereinbekommen. Als Stichtag, bis zu dem zurück man die Untersuchungen ausdehnte, hatte er den
    9. Juni 821 seit Gründung der Stadt

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