Die Söhne.
jetzt die Juden seiner Provinz darüber hinaus sich anschickten, Griechen oder Römer ihrem angestammten Glauben an die Staatsgötter abspenstig zu machen, so war das Maß überschritten, und Flavius Silva dachte nicht daran, diesen staatsfeindlichen Bekehrungseifer der Juden hinzunehmen.
Nun sandten ihm zwar die Juden immer wieder Delegationen in sein Regierungspalais, Doktoren und Juristen, um in langen Reden und vielwortigen Schriftsätzen zu beweisen, es liege ihnen fern, Nichtjuden zu ihrem Glauben zu bekehren. Aber das änderte nichts an der Tatsache, daß eine ganze Menge Bettelphilosophen in seiner Provinz herumzogen, vor Syrern und Griechen eifernde Predigten hielten und ihnen ihr jüdisches Himmelreich anpriesen. Als er die jüdischen Doktoren darauf hinwies, erzählten sie ihm, diese Bettelphilosophen und Zyniker seien eine winzige Splitterpartei, Minäer oder auch Christen genannt, eine unbedeutende Sekte, mit abweichenden, unverbindlichen Lehrmeinungen. Doch der Gouverneur war nicht der Mann, sich mit einem so billigen Ableugnungsmanöver zufriedenzugeben. Wie denn? Was denn? Diese sogenannten Christen schauten genauso aus wie seine andern Juden, sie taten das gleiche, sie lehrten das gleiche, anerkannten die gleichen heiligen Schriften, die gleichen Feiertage, sprachen gleich schlecht Latein, waren gleich schwie rig. Im Grunde hielt Flavius Silva alle Juden für Barbaren und ihre Religion für einen wirren Aberglauben. Soweit er die verwickelten Darlegungen der Doktoren verstand, handelte es sich bei der Sekte der sogenannten Minäer oder Christen darum, daß diese glaubten, der Messias sei schon vor vierzig oder fünfzig Jahren erschienen, während die übrigen Juden annahmen, er werde erst in zwanzig oder dreißig Jahren auftreten. Beide Annahmen offenkundig höchst läppischer Aberglaube; denn in Wahrheit war ja der Messias vor zehn Jahren erschienen in Gestalt des Kaisers Vespasian, was der legitime Vertreter der jüdischen Priesterschaft, der Schriftsteller Flavius Josephus, selber zugegeben hatte. Jedenfalls konnte sich ein Verwaltungsbeamter, der für die Ordnung im Lande verantwortlich war, auf so spitzfindige Unterscheidungen wie die zwischen den Minäern und den übrigen Juden nicht einlassen. Flavius Silva hielt denn auch der gesamten Judenheit gegenüber den Vorwurf der Proselytenmacherei aufrecht und war entschlossen, gegen diesen Unfug mit allen Mitteln einzuschreiten.
Aus diesem Grunde also war er, ausgerüstet mit reichlichem Material, das seine Herren hatten sammeln müssen, nach Rom gekommen. Er wollte, noch bevor die Prinzessin Berenike hier eintraf und ihren Einfluß geltend machte, gesetzgeberische Maßnahmen gegen das Unwesen erwirken. Er wollte sich auf ein Gesetz stützen können, das mit Leibeigenschaft und Tod einen jeden bedrohte, der einen Anhänger der Staatsreligion dem Glauben seiner Väter abspenstig machte und ihn einem andern Glauben zuführte, sei es durch Beschneidung, sei es durch Tauchen in Wasser.
Der Gouverneur saß bei den Ministern und bei den Senatoren herum. Er war ein gewitzter Politiker, er behandelte die Herren des kaiserlichen Kabinetts sehr anders als die des Senats. Den Ministern erklärte er, wie rasch er in seiner Provinz die Ordnung endgültig herstellen könnte, wenn nur endlich ein kaiserliches Edikt strenge Strafen gegen die Gottlosenbewegung festsetzte. Gestützt auf ein solches Edikt, könnte er die Bekenner der Staatsreligion wirksam vor dem Bekehrungseifer der Juden schützen, ohne diesen zu nahe zu treten. Den Senatoren legte er dar, wie übel, vor allem seit dem Thronwechsel, die Übergriffe der Juden zunähmen. Spaßhaft erklärte er, wenn das so weitergehe, dann würden bald durch alle syrischen Städte Judäas Juden mit gezücktem Messer laufen, um jemanden zu suchen, den sie beschneiden könnten. Der Senat möge doch endlich ein Gesetz dagegen erlassen oder zumindest die Gesetze über Körperverletzung und Eunuchentum dahin erweitern, daß sie auch die Beschneidung eines Nichtjuden inbegriffen.
Die frische, offene Art des Gouverneurs gefiel allgemein. Titus selber freilich zögerte die Audienz immer wieder hinaus, in der Flavius Silva über die Zustände in Judäa Vortrag halten und ihm seine Denkschrift überreichen wollte. Den Senatoren hingegen, vor allem denen der Opposition, sagte der Gedanke sehr zu, in der gesetzgebenden Körperschaft eine Vorlage im Sinne des Gouverneurs einzubringen. Selbst wenn dann der
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