Die Söhne.
ein halbes Jahr später gegeben. Sie können sich nicht vorstellen, was unsereiner gerade jetzt zu tun hat. Meine Gesellschaft allein hat fünfhundert neue Arbeiter eingestellt. Na«, kam er endlich zur Sache, seufzend, »wollen wir eben zusehen, daß wir etwas möglichst Schönes aus Ihnen machen. Hast du dir den Herrn gut angeschaut, Kritias?« wandte er sich an einen ziemlich vierschrötigen Burschen, einen Leibeigenen vermutlich oder einen Freigelassenen. »Das ist nämlich mein Gehilfe«, erklärte er dem Josef. »Er wird Ihnen die Augen einsetzen, wenn wir soweit sind. Das ist seine Spezialität.« Auch der Bursche beschaute Josef eindringlich; der kam sich vor wie ein Tier auf dem Markt, wie ein Leibeigener auf der Auktion.
Der kleine, quicke Basil, immer um den peinvoll sitzenden Josef herumgehend, schwatzte munter weiter. »Wie haben Sie sich’s denn gedacht, Flavius Josephus?« fragte er. »Was meinen Sie zum Beispiel zu einer größeren Gruppe, Sie sitzend, Buch in der Hand, zwei oder drei Schüler zu Ihnen aufblickend? Aber auch eine Büste auf einem eingelegten Sockel oder eine Säule wäre nicht reizlos. Einen markanten Kopf haben Sie. Ich hatte Sie mir übrigens immer mit Bart vorgestellt. Wissen Sie, Sie sind doch auch Nichtrömer, mit Ihnen kann ich offen reden. Im Grunde verstehen sie nichts von Kunst, die Römer. Nur bei Porträts muß man sich in acht nehmen. Davon verstehen sie was. Leider. Na, was denken Sie? Gruppenbild oder Büste? Gruppenbild wäre leichter. Reden Sie doch einen Ton, bitte«, ermunterte er ihn, da Josef verdrossen schwieg. »Erzählen Sie mir was aus Ihrer Vergangenheit, daß ich Leben in Ihr Gesicht kriege. Ich sehe schon«, wandte er sich an Kritias, »der Herr will die ganze Verantwortung mir zuschieben. Gehen wir schon an die Büste«, entschied er sich, seufzend. »Es spricht einiges dagegen, ich sage es Ihnen offen, Flavius Josephus. Ihr Kopf ist zwar ausgezeichnet, aber, von uns aus gesehen, kein Schriftstellerkopf. Zuviel Energie und zuwenig Kontemplation. Auch du wirst es nicht leicht haben, mein Kritias. Diese beweglichen Augen, schwierig. Sie müssen wissen, Flavius Josephus, wenn sich der Künstler mit der klassischen Manier begnügt, mit geschlossenen Augen, dann spart er sich Zeit, Arbeit, Seele. Na, drücken wir uns nicht. Immer einmal heran, mein Kritias.«
Josef mußte auf einem Podium Platz nehmen. Basil klatschte ein paar Schüler herbei, und, unbekümmert um den mürrisch Sitzenden, analysierte er Gesicht und Haltung seines Modells. »Ihr seht, Jungens«, führte er aus, »diesen Herrn Flavius Josephus, einen, wie man mir sagt, ungewöhnlich bedeutenden Schriftsteller – ich selber habe leider noch nicht die Zeit gefunden, seine Bücher zu lesen –, dem Seine Majestät eine Ehrensäule in der Bibliothek des Friedenstempels zuerkannt hat. Das ist eine große Aufgabe, und wir wollen unser Modell scharf studieren, bevor wir anfangen.
Der Herr sieht beim ersten Anblick etwas finster aus, aber wir wollen das nicht unterstreichen, es scheint mir nur eine momentane Stimmung. Die Augen liegen tief, da entsteht sowieso ein finsterer Ausdruck. Gib viel Glanz in die Augen, mein Kritias. Siehst du dieses etwas bösartige Schillern, das der Herr jetzt gehabt hat? Das mußt du mir festhalten. Aus den dünnen Lippen würde ein Philosoph wahrscheinlich auf eine weitabgewandte Gesinnung schließen. Aber unsereiner sieht sogleich, daß sich der Herr trotzdem recht gut in der Welt auskennt. Wir müssen herauskriegen, Jungens, wie kräftig die Lippen sind bei all ihrer Dünnheit. Wir werden den Kopf ein wenig über die Schulter drehen. Das ist ein Experiment, das ist gegen die Schulregel. Aber auf solche Art kriegen wir die Augen in die Winkel. Das gibt den Ausdruck eines Mannes, der mit seinen Augen die Welt packen will. Und dann kriegen wir auch die stolze, gierige Geste heraus, die dem Herrn so gut steht. Eine echte Schriftstellergeste nebenbei, die wir schon deshalb unter allen Umständen herausholen müssen; wir leisten es uns nämlich, den Herrn ohne Buch darzustellen, und das Gesicht wirkt sowieso nicht sehr literarisch. Was abgesehen von dem speziellen Fall kein Nachteil ist. Schaut euch das Hagere, Knochige des Kopfes an, Jungens, die ausgezeichnete Stirn, die Buckel über den Augen, die Buckel unterm Haaransatz, dieses Auf und Nieder, die Zerarbeitung, die Zerklüftung. Der Kollege Diodor würde jeden dieser Züge wichtig unterstreichen. Wir werden
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