Die Söhne.
malen.
Jetzt war auch der Riesenbau der Neuen Bäder so weit gefördert, daß er mit seinem großen Fresko beginnen könnte, mit den »Versäumten Gelegenheiten«. Jahre hindurch hatte er sich mit diesem Gemälde beschäftigt. Er hatte davon geträumt, es für sein Kind zu malen, und es verdroß ihn tief, daß das nun nicht sein sollte. Aber der Künstler in ihm verhehlte sich nicht, daß die Proportionen der Halle, die es jetzt auszumalen galt, günstiger waren, als irgendein Privatbau sie ihm bieten konnte. Mit verbissenem Eifer machte er sich an die Aufgabe. »Die versäumten Gelegenheiten« werden ein gutes Bild sein, man wird ihn nicht nur den Ersten Maler der Flavier, man wird ihn den Ersten Maler aller Kaiser nennen. Man hat die schönsten Gemälde aus sechs oder sieben Jahrhunderten nach Rom geschleppt, aber der wird Rom nicht gesehen haben, der nicht sein Bild gesehen hat.
Er hatte kaum sein Gerüst aufschlagen lassen und die ersten Pinselstriche getan, als ihn die Seuche anfiel. Sie warf ihn aufs Bett, sie zwang dem peinlich saubern und korrekten Herrn Durchfälle und Erbrechen auf, die Ärzte erkannten nach wenigen Stunden, daß er verloren war. Hohläugig lag er, den fleischigen Kopf eingefallen, spitznasig, Gesicht und Hände bläulich, die Haut kalt wie die eines Leichnams. Rings um ihn war Räucherwerk angezündet, um die Ansteckungsgefahr zu vermindern und den Gestank zu übertäuben, der von ihm ausging. Seine Waden krampften sich, sein Bewußtsein blieb klar, aber die Ohren sausten ihm, Schwindel überkam ihn, er suchte sich sein Bild vorzustellen, aber es wurde ihm dick und schwarz vor den Augen. Entsetzlicher Durst quälte ihn, er sah und wußte, was um ihn vorging. Er wußte, daß er jeden Trunk mit Erbrechen, Schmerzen, Schwäche zu bezahlen haben werde, und für die Ärzte, die seine geradezu spleenige Sauberkeit und Korrektheit kannten, war es das Erschrekkendste, daß er trotzdem zu trinken verlangte, immer wieder zu trinken. Die Dinge um ihn wurden ihm gleichgültig, zuerst seine Freunde, dann seine Bilder, zuletzt sein Kind. Auch sein bevorstehender Tod wurde ihm gleichgültig, nur eines verlangte er: Wasser, Wasser.
Als man am Abend des dritten Tages dem Bildhauer Basil mitteilte, daß sein Freund Fabull gestorben war, sagte er zu seinem Gehilfen Kritias: »Siehst du, mein Kritias, was hat man nun davon? Er hat seine ›Versäumten Gelegenheiten‹ malen wollen, daran ist er gestorben. Man schuftet sich ab, man rechnet, man nimmt noch einen Auftrag an und noch einen. Man weiß, man kann auskommen mit dem Geld, das man gemacht hat. Und man hat das Beste geschaffen, was man schaffen kann. Aber man will noch mehr Geld, man will noch Besseres machen, man will noch mehr Ruhm, man will, daß der Umsatz der Fabrik im nächsten Jahr zweihundertdreißigtausend Büsten beträgt statt zweihundertzehntausend. Wir sind Fetthirne, mein Kritias. Ich sollte mir ein nettes, kleines Gut am Jonischen Meer kaufen, nur dann arbeiten, wenn ich Lust habe, alle vier oder fünf Tage, und niemanden vor mich lassen als ein paar nette Frauen. Und vielleicht dich, wenn du nicht gerade zu widerborstig bist. Man sollte in der Sonne liegen und Wein trinken und ab und zu ein gutes Buch lesen. Und vor allem sollte man mit vier Pferden fort aus dieser verfluchten Stadt. Ich habe durchaus nicht den Ehrgeiz, in den Sielen zu sterben wie dieser lächerliche und großartige Fabuli. So, und wie hast du mir für morgen den Tag eingeteilt?«
Dorion, als sie den Tod ihres Vaters erfuhr, fiel ohnmächtig um. Sie hatte, seitdem sie ihn aus ihrem Hause gewiesen, nichts mehr von ihm gehört, sie hatte angenommen, er habe die verseuchte Stadt geflohen. Als man ihr sagte, er sei an der Epidemie gestorben, spürte sie geradezu körperlich, wie Schuldgefühl sich auf sie senkte, sich um sie legte, pressend, vernichtend: sie hat ihn umgebracht.
Als sie aus langer Ohnmacht erwachte, war sie bestürzend verändert, blutlos, das Gesicht fleckig. Den Bemühungen ihrer Zofe, des Paulus, des Phineas blieb sie unzugänglich. Sie gab Weisung, sie in die Stadt zurückzubringen. Als man ihr vorstellte, die Leiche sei bestimmt gleich nach dem Tode verbrannt worden, erwiderte sie nichts, beharrte, fuhr zurück in die Stadt.
Sie fuhr nicht erst nach Hause. Wie sie war, in dem Kleid, in dem sie die Nachricht erhalten hatte, ungewaschen, unfrisiert, ging sie in das Atelier ihres Vaters, zu seinen Ärzten. Sie wollte seine
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