Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
musst du mir helfen und unserem Freund.«
Jetzt klingt er, als würde er direkt neben mir stehen:
»Du musst Penumbra aufhalten. Sonst wird ihm sein letztes Scheitern zum Verhängnis.«
Der Hörer liegt wieder auf der Gabel, obwohl ich mich kaum daran erinnern kann, aufgelegt zu haben. Im Laden ist es ruhig; kein Plop-Plop dringt mehr aus dem vorderen Be reich. Ich lasse meinen Blick langsam durch Penumbras Büro schweifen, über die Trümmer jahrzehntelanger digitaler Träume, und Corvinas Warnung beginnt mir einzuleuchten. Wenn ich an Penumbras Gesichtsausdruck denke, als er uns in New York seinen Plan erläuterte, leuchtet sie mir sogar noch mehr ein. Ich schaue wieder zu dem Foto hinüber. Plötz lich ist nicht mehr Corvina der abtrünnige Freund – sondern Penumbra.
Neel taucht auf dem Treppenabsatz auf.
»Mat braucht dich«, sagt er. »Du sollst eine Lampe halten oder so.«
»Okay, klar.« Ich atme tief durch, verscheuche Corvinas Stimme aus meinen Gedanken und folge Neel hinunter in den Laden. Wir haben eine Menge Staub aufgewirbelt, und das Licht der Lampen wirft helle Formen in den Raum, dringt durch die Gänge zwischen den Regalen, fängt federzarte Stäubchen ein – mikroskopische Papierfetzen, Ablagerungen von Penumbras Haut, von meiner – und bringt sie zum Leuchten.
»Mat macht das ziemlich gut, was?«, sage ich und lasse fasziniert den geisterhaften Effekt auf mich wirken.
Neel nickt. »Er ist unglaublich.«
Mat reicht mir einen gigantischen Bogen aus glänzend weißem Plakatkarton und trägt mir auf, ihn zu halten und dabei nicht zu wackeln. Er lichtet den Schreibtisch im Vorraum ab und kriecht mit der Kamera förmlich in die Maserung hinein. Der Plakatkarton reflektiert so unauffällig, dass ich seine Wirkung auf dem Holz nicht erkennen kann, aber ich nehme mal an, dass er einen wesentlichen Beitrag zur Helligkeit und Gleichmäßigkeit der Beleuchtung leistet.
Mat fängt wieder an zu knipsen, und die großen Lampen geben nun geräuschlos Licht ab, darum ist jetzt das Klick-Klick der Kamera zu hören. Neel steht hinter Mat und hält in einer Hand eine Lampe; in der anderen seinen zweiten Grünkohlsaft, den er genüsslich schlürft.
Während ich dastehe und den Plakatkarton halte, denke ich:
Es geht Corvina nicht wirklich um Penumbra. Es geht ihm um Kontrolle, und er versucht, mich zu seinem Instrument zu machen. Ich bin dankbar für die vielen Kilometer, die zwischen uns liegen; es würde mich fertigmachen, dem Besitzer dieser Stimme leibhaftig gegenüberzustehen. Aber vielleicht würde er sich gar nicht erst die Mühe machen, mich persönlich überreden zu wollen. Vielleicht wäre er dann mit einer Bande Schwarzroben aufgekreuzt. Aber das geht nicht, weil wir in Kalifornien sind; der weite Kontinent, der zwischen uns liegt, ist unser Schutzschild. Corvina hat zu spät davon erfahren, darum ist seine Stimme alles, was er hat.
Mat kommt sogar noch näher heran, offenbar hat er es jetzt auf die Molekularstruktur des Schreibtischs abgesehen, des Orts, an dem ich jüngst so viel Lebenszeit verbracht habe. Im Moment bietet sich mir ein hübsches Bild: der kompakte, zusammengekauerte Mat, schwitzend mit der Kamera vor dem Auge, und ein großer, stattlicher Neel, lächelnd, fest die Lampe haltend und gleichzeitig seinen Saft schlürfend. Meine Freunde, die gemeinsam etwas schaffen. Auch das erfordert Vertrauen. Ich weiß nicht, wozu genau dieser Posterkarton gut ist, aber ich vertraue Mat. Ich weiß, dass etwas Wunderbares dabei herauskommt.
Corvina liegt völlig falsch. Penumbras Pläne sind nicht deswegen gescheitert, weil er ein hoffnungsloser Spinner ist. Hätte Corvina recht, dann würde das heißen, dass niemand je etwas Neues und Riskantes ausprobieren sollte. Vielleicht sind Penumbras Pläne ja gescheitert, weil er nicht genug Hilfe hatte. Vielleicht hatte er keinen Mat oder Neel, keine Ashley oder Kat – bis jetzt.
Corvina hat gesagt: Du musst Penumbra aufhalten .
Nein, ganz im Gegenteil: Wir werden ihm helfen.
Der Morgen graut, und ich weiß, dass ich nicht auf Penumbra zu warten brauche. Er ist nicht auf dem Weg zu dem Laden, der seinen Namen trägt, sondern zu Google. In knapp zwei Stunden wird das Projekt, für das Penumbra und seine Brüder und Schwestern seit Jahrzehnten gearbeitet haben, vollendet sein. Wahrscheinlich isst er zu Ehren des Ereignisses irgendwo einen Bagel.
Hier im Laden packt Mat seine Lampen wieder in ihren Sarkophag aus grauem Schaumstoff. Neel
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