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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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dachte an den Krieg meines Großvaters, ein Krieg, der Sinn und Zweck gehabt hatte. Ich dachte daran, dass wir morgen, wenn die Sonne im Osten tief über der Ebene hing, losmarschieren würden. Wir würden in eine Stadt eindringen, um die jährliche Schlacht zu schlagen; eine langsame, blutige Parade, wie zum Zeichen, dass der Sommer in den Herbst überging. Wir würden sie verjagen. Das war uns jedes Mal gelungen. Wir würden sie töten. Sie würden auf uns schießen, uns verstümmeln und dann in die Hügel und Wadis fliehen, zurück in die staubigen Dörfer und Nester. Aber sie wären bald zurück, und wir würden ihnen zuwinken, wenn sie an Laternenpfählen lehnten, vor ihren Läden unter grünen Stoffdächern saßen und Tee tranken. Wenn wir durch die Straßen patrouillierten, warfen wir ihren Kindern, die uns auch bald bekämpfen würden, Süßigkeiten zu.
    »Soll wohl das jährliche Großereignis werden«, bemerkte Murph spitz.
    Sterling kam unter dem Weißdorn hervor, lud seine Waffen und befestigte lose, klappernde Teile mit Klebeband. »Jetzt mal gut hinhören, kleiner Mann«, sagte er zu Murph und sprang auf und ab, die Hände in die Seiten gestemmt. Wir hörten nur das dumpfe Geräusch, mit dem seine Stiefel im feinen Staub landeten. »Alles klar. Gut. Kommen Sie her, Bartle.«
    Ich ging zu Sterling und Murph und sah zu, wie der Sergeant schwarzes Isolierband auf alle Metallteile klebte, die während unseres Vormarsches das Dämmerungslicht reflektieren, in ein Fenster werfen konnten. Murph stand reglos da, während seine Ausrüstung mit festen und gezielten Griffen präpariert wurde. Sterling wirkte hochkonzentriert, biss sich auf die Unterlippe, zog die Mundwinkel ganz leicht nach unten. Sobald er fertig war, strich er mit den Händen über Murphs Oberkörper, als wollte er ihn liebkosen. »Na los – probieren Sie es«, sagte er.
    >Murph warf mir einen Blick zu und machte einen kleinen Luftsprung, und nichts klirrte oder wackelte.
    »Sie sind dran, Bartle.«
    Sterling unterzog mich der gleichen Prozedur, setzte dabei die gleiche konzentrierte Miene auf. Als ich aufsprang, war nichts zu hören, und Sterling gab mir einen Klaps gegen den Helm.
    »Sarge«, fragte ich, »glauben Sie, dass wir hier jedes Jahr kämpfen müssen?«
    »Aber hallo, Private«, sagte er. »Ich habe schon bei der ersten Schlacht mitgemischt. Diese Scheiße wird noch schlimmer als das Footballspiel Ohio gegen Michigan.« Er lachte leise, weil er bemerkte, dass ich nervös wurde. »Keine Sorge. Morgen geht alles gut, okay? Wenn Sie mir folgen und tun, was ich sage, sind wir in null Komma nichts wieder in der Forward Operating Base.«
    Er lächelte uns an. Im flackernden Laternenschein wirkte er gutmütiger. »Okay, Sarge. Alles klar. Wir tun, was Sie sagen.«
    Morgens erwachten wir zum schrillen Heulen der Mörsergranaten, die im hohen Bogen über unsere Stellung flogen und in die Obstwiese einschlugen. Es blieb dunkel. Der Himmel hatte die Farbe mürber Holzkohle. Und vor der Schlacht überkam mich wie üblich dieses Gefühl – eines, das ich, bevor ich zum Kämpfen in die Wüste gezogen war, nicht gekannt hatte. Wenn es mich überfiel, suchte ich stets nach einer Erklärung für den Knoten in meiner Brust, dafür, dass meine Beine zitterten, meine Hände feucht und ungeschickt waren. Murph kam einer Erklärung einmal sehr nahe. Ein Journalist hatte uns gefragt, wie sich ein Gefecht anfühlte. Er trug khakifarbene Klamotten mit vielen Taschen und eine verspiegelte Fliegerbrille, die einen aus hundert Metern Entfernung blendete. Wir hassten es, ihn bei uns zu haben, hatten aber den Befehl, ihn zu dulden. Irgendwann, wir saßen in der Basis im Schatten eines großen Baumes im Staub, kam er zu uns und sagte: »Bringt es für mich auf den Punkt, Leute – ich will wissen, welche Art von Rausch euch erfasst.« Die meisten ignorierten ihn, manche riefen, er solle sich verpissen, aber Murph setzte zu einer Erklärung an. Er sagte: »Das ist wie ein Autounfall. Verstehen Sie? Wie der kurze Moment zwischen der Erkenntnis, dass es gleich kracht, und dem Zusammenstoß. Um ehrlich zu sein, fühlt man sich ziemlich hilflos. Man ist ganz normal gefahren und steckt plötzlich in der Scheiße, ohne irgendetwas dagegen tun zu können, weiß, dass man machtlos ist. Entweder holt einen der Tod – oder was auch immer – oder eben nicht. So ungefähr«, fuhr er fort, »wie dieser Sekundenbruchteil im Auto, nur dass es hier ein paar scheiß Tage dauern

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