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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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verschrien.
    »Ja
..
.
«, sagte Iwan zögernd.
    »Na also!« Der Wolf schlug triumphierend die Zähne in den Rumpf des Pferdes.
    Doch Iwan hatte noch weitere Fragen. »Aber wohin soll ich nun gehen – ohne Pferd?«, fragte er.
    »Was kümmert mich das?«, gab der Wolf undeutlich mit vollem Maul zurück.
    |168| »Es sollte dich kümmern, weil du mein Pferd getötet hast!«, erklärte Iwan, als spreche er mit einem Kind.
    »Arrrrggggg!«, grollte der Wolf so laut, dass die Blätter der Bäume in der Umgebung flatterten und sogar die Wände meines Gemachs bebten. Doch das schien Iwan keine Angst einzujagen.
    »Sag mir einfach, wohin ich mich wenden soll«, sagte er beruhigend.
    »Das ist wohl die einzige Möglichkeit, dich loszuwerden«, stimmte ihm der Wolf zu. »Weißt du, ich hätte dich ebenfalls auffressen können, aber ich muss die Inschrift auf dem Felsblock respektieren. Ein Pakt ist ein Pakt. Schade, dass du nicht nach links geritten bist
...
Halte dich einfach östlich. In zwei Tagen wirst du auf ein Dorf treffen.«
    Iwan wandte sich um und ging davon.
    Ich entspannte meine Hände, die ich unbewusst zu Fäusten geballt hatte. Vielleicht hatten alle recht in Bezug auf diesen Jungen. Man musste extrem mutig oder aber extrem dumm sein, um dem Wolf auf diese Art entgegenzutreten. Seinen unschuldigen blauen Augen nach vermochte ich nicht zu entscheiden, was zutraf. Es fiel jedoch schwer, diesem Jungen solchen Mut zuzutrauen. Lag seine wirkliche Stärke darin, andere durch sein unschuldiges Äußeres zu täuschen?
    Die Szene im Spiegel verwandelte sich erneut. Nun zeigte sie wieder das Schloss im Zwölften Königreich. Ich erkannte Wassili, dessen Augen mit den fortschreitenden Jahren ihren schlauen, kalkulierenden Ausdruck keineswegs verloren hatten. Er saß am Tisch, in einen prachtvollen Kaftan gekleidet – rot und golden, passend für einen Thronfolger. Ich erkannte nach anfänglicher Unsicherheit auch Fjodor, der nun fett und schlapp wirkte und einen gelangweilten Gesichtsausdruck zeigte. Er tat mir fast ein wenig leid, denn er hätte sich anders entwickeln können, wäre er in einer anderen Umgebung aufgewachsen.
    |169| Wassili sprach mit einem Mann, der bäuerlich gekleidet war, aber das Aussehen und die Haltung eines Kriegers aufwies. Ich fragte mich, ob jeder seine Verkleidung ebenso leicht zu durchschauen vermochte wie ich.
    »Er ritt nach Osten«, sagte Wassili gerade. »Kurz hinter der Grenze zum Vierzehnten Königreich kommt man an eine Kreuzung, auf der ein Felsblock mit einer Inschrift steht – es spielt für dich keine Rolle, wie sie lautet.«
    Der Mann gehörte offensichtlich zu jenen, die nicht lesen können. Solche gab es sowohl unter Bauern wie auch unter Kriegern häufig.
    »Die meisten kehren an diesem Felsblock um«, fuhr Wassili fort. »Sollte Iwan sich ebenso entscheiden, wirst du ihm unterwegs begegnen. Wenn nicht, dann wendet er sich bestimmt nach rechts. Vater hat ihm nicht gerade ein wertvolles Pferd mitgegeben.« Er grinste. »Es würde Iwan nichts bedeuten, sich von dem Tier zu trennen.«
    »Sich von dem Tier trennen?«, fragte der Mann in Bauernkleidung. »Wieso das?«
    »Wie ich schon sagte, es spielt für dich keine Rolle«, murrte Wassili. »Reite nach rechts, aber nicht zu weit! Du wirst den Narren möglicherweise sehen, wie er durch den Wald wandert. Aber was du auch tust: Geh nicht aus dem Wald hinaus! Betritt keine offene Lichtung!«
    »Warum denn das?«, fragte der Mann wieder.
    »Auf der Lichtung treiben sich Raubtiere herum, die gern Pferde fressen. Menschen tun sie nichts, aber sie fallen jedes Pferd an, das auf die Lichtung kommt. Deshalb dürfte sich Iwan zu Fuß fortbewegen. Er wird leichte Beute für dich sein.«
    Beute? ,
dachte ich, und langsam dämmerte es mir.
Aber wieso plant Iwans Bruder, ihn ermorden zu lassen? Was für eine Bedrohung könnte er nach alledem, was sie in seiner Kindheit mit ihm gemacht haben, jetzt noch darstellen?
Oder hegte Wassili |170| den Verdacht, sein Bruder könne doch noch zum Helden werden? Unterlag er vielleicht der gleichen Täuschung?
    »In diesem Beutel befinden sich hundert Goldstücke«, sagte Wassili und händigte dem Mann den Beutel aus. »Du und deine Männer werdet noch einmal dasselbe bekommen, wenn ihr mir seinen königlichen Siegelring bringt. Aber geht sicher, dass er tot ist, bevor ihr ihm den Ring abnehmt. Solltet ihr mich anlügen, werde ich euch zu finden wissen, ist euch das klar?«
    »Ja, Herr«, sagte der Mann

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