Die Sonnwendherrin
Schlingpflanzen, die einen unter Wasser festhielten, bis man starb.
Die Luft war ruhig und süß. Selbst die Vögel schwiegen in dieser heiligen Stunde, da die Sonnwendherrin ihr einsames Bad im klaren Wasser des Sees nahm. Ich musste vollkommen sauber und rein sein, wenn ich mich auf die Suche nach den zwölf geheimen Kräutern für den Trank der Liebe machte. Meine Diener waren auf der großen Lichtung bereits dabei, das Feuer zu entzünden und das Wasser in einem mächtigen Kessel zu kochen, alles vorzubereiten, damit ich meine Aufgabe erfüllen konnte.
Das Wasser war warm wie frisch gemolkene Milch. Ich spürte, wie die Strömung meinen Körper liebkoste, mich sanft in diesen wirbelnden Strom hineinzog und mich auf ihren stützenden Händen treiben ließ. Die glatten Speere |204| der Schilfblätter stießen durch das bernsteinfarbene Wasser nach unten bis zum Grund, wo die grünen Schlingpflanzen wie langes Haar im Wind trieben. Weiter flussaufwärts gab es eine breite und tiefe Stelle, wo das aufgewühlte Wasser einen stetigen Wirbel erzeugte – den Opferteich. An der Oberfläche trügerisch ruhig, zog einen das Wasser mit starken Händen hinab, auf die glitschigen, grünen, welligen Haare am Grund zu, die einen jeden mit ihrem tödlichen Netz umfingen. Das war der Ort, an dem die Opfermaid eintauchen musste. An dem heute noch Aljona verschwinden würde, wie so viele Mädchen vor ihr.
Ich bemühte mich, das Schwimmen zu genießen und mich zu entspannen, die Gedanken an das Bevorstehende zu verscheuchen. Ich trieb auf dem Rücken in der langsamen Strömung, ließ mich vom See tragen, mein Haar auf der Oberfläche treiben, so dass sich die einzelnen Strähnen bewegten wie die Pflanzen auf dem Grund der bernsteinfarbenen Tiefe. Über mir verfärbte sich der Himmel langsam von Hellblau und Rosa zu Dunkelblau und Tiefrot, bevor er schließlich den Saphirton des frühen Abends annahm. Ein einsamer Stern leuchtete dicht über dem Horizont. Die Luft erschien mir nun kühler als das Wasser, das mich trug. Es war Zeit, aufzubrechen.
Mit leichten Armbewegungen lenkte ich die Strömung, damit sie mich ans Ufer trieb, wo bereits meine Dienerinnen mit meiner rituellen Kleidung warteten. Im Gegensatz zu meiner üblichen schwarzen Robe war dieses Gewand weiß, und auch der Blütenkranz für mein Haar unterschied sich von allen anderen am heutigen Tag, da er ganz aus Wasserlilien bestand – solche, die fast augenblicklich verblassen, wenn man sie aus dem Wasser nimmt, die jedoch stets frisch bleiben, wenn sie am Sonnwendabend mein Haar krönen. Ich stand still und schweigend da, während sie meinen Körper und mein Haar mit weichen Tüchern abtrockneten und |205| mich dann ankleideten. Die einzigen Worte, die ich vor der Fertigstellung des Tranks der Liebe aussprechen würde, waren die des Zauberreims der zwölf Kräuter, und auch diese sagte ich nur zu mir selbst. Im ganzen Königreich kannte niemand außer mir diesen Reim, der von einer Sonnwendherrin zur anderen weitergereicht wird.
Ich genoss diese ruhige Abendstunde allein im schlummernden Wald, wenn alle Geräusche schliefen. Ich schritt am Flussufer entlang, zwischen den Bäumen hindurch, über Lichtungen, während ich im langsamen Rhythmus der Beschwörung die zwölf heiligen Kräuter suchte und aufzählte. Dicke, frisch duftende Katzenminze-Stängel mit einer Schirmkrone aus winzigen Blüten. Das warme Gelb und Weiß der Kamille mit ihrem kräftigen Duft. Die Schwanenhälse der tiefblauen Glockenblumen. Die elegante Lichtnelke mit ihren kleinen rosafarbenen Blüten, die wie winzige Lagerfeuer wirkten – die Dorfbewohner nannten sie deshalb auch »Goryzwet«, die Feuerblume. Ich sammelte Büschel von kräftigem wildem Klee mit saftigen violetten Blüten und die festen Blüten der Oleanderbüsche. Leise wiederholte ich dabei die alten Worte:
Kräuter des Zaubertranks, sechs und sechs,
gebunden durch den Willen der Sonnwendhex,
hell sind sechs und dunkel auch,
so will es die Macht und Kupalos Brauch.
Die Kräuter des Lichts wirf einfach hinein:
Glockenblume und Kamill müssen drin sein,
Katzenminz, Klee, bunt durcheinander,
dazu noch Lichtnelk und Oleander.
Nun war es an der Zeit, die sechs dunklen Kräuter zu pflücken. Also sang ich lautlos einen anderen Reim:
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Die dunklen Kräuter sind bitter und stark,
pflücke sie schweigend und reiß nicht so arg.
Du darfst sie nicht nennen, doch kennst du sie gut,
wirf sie hinein in den brodelnden
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